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Nachricht vom 19.06.2019
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Wie sieht der politische Diskurs der Zukunft aus?

Prof. Dr. Dirk Baecker

Prof. Dr. Dirk Baecker

Wie sieht der politische Diskurs der Zukunft aus?

Millionenfach geklickt, tausendfach diskutiert: Das YouTube-Video „Die Zerstörung der CDU“ von Blogger Rezo ging maximal viral. Gleichzeitig hat es eine Diskussion ausgelöst, wie politische Debatten aktuell geführt werden und warum die Kultur der Kommunikation einen entscheidenden Einfluss darauf hat, was bei der Jugend ankommt. Während die junge Generation vor allem soziale Netzwerke nutzt, um am politischen Diskurs teilzunehmen, setzen traditionelle Parteien wie die CDU noch immer auf analoge Medien. Im Fall Rezo mit einer elfseitigen PDF-Datei als Reaktion. Woran liegt das? Dirk Baecker, Professor an der Universität Witten/Herdecke, erklärt im Interview Ursachen und Zusammenhänge.

In Talk-Runden treffen derzeit langjährige Politiker auf Netzaktivisten und YouTuber, die die junge Generation der Digital Natives repräsentieren. Beide Seiten vertreten unterschiedliche Generationen, die vor allem im Medienkonsum komplett verschieden sozialisiert wurden. Wer muss hier eigentlich auf wen zugehen?

Anpassung ist immer verdächtig. Beide Seiten müssen die doppelte Aufgabe bewältigen, dem eigenen Stil treu zu bleiben und zugleich auf die andere Seite zuzugehen. Man darf nicht vergessen, dass Kommunikation eine strategische Komponente hat: Man will sichtbar und hörbar werden, man will jemanden erreichen, man will aber auch zugleich das Heft in der Hand behalten. Kommunikation ist deswegen immer riskant: Allzu schnell sagt man etwas, was einen in das Spiel des anderen verwickelt. Was würde passieren, wenn man tatsächlich miteinander spricht? Die jüngere Generation riskiert, zu viel von der Politik zu verstehen und dann nicht mehr so eindeutige Forderungen stellen zu können. Und Politiker riskieren, Versprechungen zu machen, die sie hinterher nicht halten können. Also muss man miteinander reden und zugleich auf Abstand bleiben. Niemand darf sich allzu sehr anpassen. Die Kanäle der anderen Seite dürfen und sollten benutzt werden, aber auf eine wiedererkennbare Art und Weise. Politiker müssen Politiker und Jugendliche Jugendliche bleiben.

Sicherlich hat jede Seite ihren Stil und ihre Absichten. Aber ist es nicht so, dass vor allem die junge Generation die Gegenseite für die eher defensive Art der Kommunikation kritisiert, weil dadurch Prozesse künstlich in die Länge gezogen und konkreten Forderungen ausgewichen werden können? Die Kanäle der Jugend, also soziale Medien wie YouTube und Instagram, sind doch auf direkte Interaktion ausgelegt. Sollten sich Politiker nicht dieser Kommunikationskultur anpassen, um wieder ernster genommen zu werden?

Spannende Fragen! Ich will ja nicht altväterlich reagieren und historische Erinnerungen rauskramen, aber genau diese Art der Überschätzung von Politik haben wir Ende des 18. Jahrhunderts schon einmal erlebt. Schon damals war die Frage, warum man politische Fragen nicht im direkten Gespräch klären und notwendige Entscheidungen dann auch umsetzen kann. Der Adel dachte, das können die Adligen unter sich klären, und die Revolutionäre dachten, dass das Volk an diesem Gespräch beteiligt werden könnte. Das Ergebnis war die Französische Revolution und nicht nur diese, sondern als man merkte, dass es Gegenpositionen (auch unter den Revolutionären) gibt, die sich nicht durch ein Gespräch klären lassen, die Guillotine des Großen Terrors Robespierres. Nein, im Ernst: Konkrete Forderungen sind das eine, komplizierte Umsetzungen in einer Gesellschaft, in der die Politik nicht einfach durchregieren kann, sind das andere. Zurecht wehrt sich die Jugend gegen inhaltsleere Floskeln. Zurecht fordert sie eine Debatte, in der alle Fragen offengelegt werden. Zurecht merkt sie an, dass eine Politik, die abwiegelt, im Verdacht steht, Interessen der Energiebranche, der Automobilindustrie und der sie finanzierenden Banken stillschweigend durchzusetzen. In der Tat muss gefordert werden, dass sich politische Parteien nicht nur zu wünschenswerten Zielen, sondern auch zu realen politischen Prozessen des Interessensausgleichs äußern. Eine Gesellschaft ist ein stillgestellter Konflikt, der jederzeit neu ausbrechen kann. Nichts ist wichtiger, als allen Stimmen, den majoritären ebenso wie den minoritären, eine Stimme zu geben. Aber es wäre eine Illusion, eine Politik zu fordern, die in direkter Kommunikation ausgehandelt werden kann. Komplexe Gesellschaften kommunizieren hochgradig divers.

Was könnten Kanäle sein, auf denen sich unterschiedliche Generationen auf Augenhöhe begegnen können? Oder ist das gegenwärtig kaum möglich, weil beide auf ganz unterschiedlichen Netzwerken und Kanälen unterwegs sind?

Es gibt auf beiden Seiten Leute, die mehr von den jeweiligen Medien verstehen als die, die sich um diese Medien noch nie gekümmert haben. In der Politik gibt es Nachwuchsleute, die als Digital Natives verstanden werden können. Die entscheidende Frage lautet hier, wie etwa im Fall Philipp Amthor, warum sie nicht zum Zuge kommen. Man kann das beobachten, was man im Fall digitaler Medien immer beobachten kann: Sie unterlaufen Regeln der Anciennität (Ältere zuerst) und der Hierarchie. Und auch unter Jugendlichen gibt es Leute, die sich mit Politik schon mehr beschäftigt haben als ihre Altersgenossen. Hört man ihnen zu, wenn sie etwas erläutern? Machen sie sich verdächtig, wenn sie die Politik „verstehen“? Ich glaube nicht, dass es so schwer ist, die neuen medialen Plattformen zu nutzen. Und ich glaube auch nicht, dass es so schwer ist, sie im jeweiligen eigenen Stil zu nutzen. Die Schwierigkeit besteht eher darin, die eigene Gefolgschaft nicht zu verlieren beziehungsweise die eigenen Spielregeln nicht zu verletzen, wenn man auf die andere Seite zugeht.

Was meinen Sie mit „die eigene Gefolgschaft nicht zu verlieren“?

Ich spiele damit auf so etwas wie ein Grundgesetz der Kommunikation an. Kommunikation ist immer ein Spiel unter Dritten. Man wendet sich an ein Gegenüber, will und muss aber auch so reden, dass einem die eigenen Leute zustimmen können und nicht etwa in den Rücken fallen. Manchmal hat man den Eindruck, dass das die Hauptfunktion ist: Man weicht aus, verweigert die Diskussion, produziert irgendwelche Floskeln – und die eigene Seite freut sich, dass die Anliegen des Gegenübers ins Leere laufen. Dann hat man zwar die andere Seite nicht erreicht, aber die eigene Seite fühlt sich gestärkt und man glaubt, man hätte gewonnen. Je nachdem, wie mächtig die jeweiligen Positionen vertreten sind, kann man das ziemlich lange durchhalten.

Wann haben Politikerinnen und Politiker, die sich digital positionieren wollen, aus Ihrer Sicht richtig reagiert und wann eher richtig falsch?

Richtig falsch kommunizieren Politiker immer dann, wenn sie in neuen Medien nach den Regeln der alten Medien kommunizieren, also etwa annehmen, soziale Plattformen seien wie Zeitungen oder gar öffentliche Marktplätze. Hier treten zwei Schwierigkeiten auf: Erstens weiß man meistens ja gar nicht so genau, wie die alten Medien die eigene Kommunikation längst geprägt haben. Man glaubt, man sei sachlich unterwegs, ist aber längst medial unterwegs, etwa wenn man darauf vertraut, dass man zwei Argumente hintereinander machen kann und die Leserin/Hörerin einem immer noch folgt.

Und zweitens ist es schwer, die Unterschiede zwischen den Medien genau zu bestimmen. In der Zeitung kann man sich konzentriert einem Artikel widmen, man kann aber auch rasch umblättern oder auf derselben Seite die Augen von einem Artikel zu einem anderen wandern lassen. Was aber bewirken die sowohl konzentrierte als auch flüchtige Lektüre? Und in den sozialen Medien ist dieselbe Kombination von Konzentration und Flüchtigkeit wesentlich beschleunigter und wesentlich multimedialer zu haben. Hier werden Texte nicht nur von Texten, sondern auch von Bildern, Videos und Sounds bedrängt. Wenn man damit richtig umgehen will, muss man sich darauf einstellen. Man muss anerkennen, dass die Userin jederzeit wegklicken kann. Wie macht man das? Am besten, denke ich, konfrontiert man sich selbst mit dem medialen Unernst, mit dem man im elektronischen Medium konkurriert. Überspitzt formuliert: Man wird etwas flüchtig, etwas albern und nimmt damit dem Konkurrenzdruck seine Spitze. So kann man die Userin etwas länger halten und für den Ernst der Sache zurückgewinnen.

Mal angenommen, Parteien setzen in Zukunft auf eigene Blogger und Influencer, die zielgruppengerecht kommunizieren. Wäre das wirklich eine Möglichkeit, bei den jungen Leuten zu landen? Die können authentische Ansprache ja von politischer PR unterschieden.

Kommunikation kann auch dann interessant sein und sogar Spaß machen, wenn man die andere Seite durchschaut. Warum wirkt Werbung? Doch nicht etwa deswegen, weil man sie nicht durchschaut, sondern ganz im Gegenteil, weil man glaubt, man würde sie durchschauen. Immerhin darf man ja damit rechnen, dass jedermann einen gewissen Orientierungsbedarf hat und dass es bestimmte Themen gibt, die je nach ihrer Konjunktur Themen sind, zu denen man halbwegs informiert sein muss, wenn man mitreden können will. Also gibt es so etwas wie eine natürliche Neugier. Wenn man dieser Neugier auf eine rhetorisch passende Art und Weise entgegenkommt und sich zugleich nicht verstellt, kann man eigentlich schon nicht mehr so viel falsch machen. Regierungssprecher machen vor, wie das geht. Sie sprechen für andere. Sie dürfen erkennbar nicht alles sagen, was sie wissen. Aber hört man ihnen deswegen etwa nicht zu? Wenn man andernfalls gar keine Information bekommt, sind auch die Mitteilungen von Sprechern und Bloggern interessant. Jeder ist klug genug, sich nicht an der Nase herumführen zu lassen.

Vielleicht hört die Jugend tatsächlich einem Regierungssprecher nicht mehr zu bzw. hinterfragt das Gehörte. Denn durch diese Kultur der „Nicht-Kommunikation“, wie viele junge Menschen es nennen, entsteht ja das Bedürfnis, sich über andere Quellen zu informieren - beispielsweise über gleichaltrige Blogger. Liegt es vielleicht vor allem an der Kommunikationskultur? Und entsprechend geht es weniger darum, wo die Kommunikation stattfindet, sondern wie sie stattfindet? Im sozialen Medium bleibt wenigstens die Möglichkeit zur Anschlusskommunikation. In den traditionellen, analogen Medien fehlt die komplett. Deshalb wohl auch diese krasse Ablehnung?

Wortblasen, auf die man nicht reagieren kann, sind doppelt frustrierend, erstens als Blase und zweitens als Abblocken der Reaktion. Das ist in der Tat eine Kommunikation der Nicht-Kommunikation. Wir brauchen Foren, in denen anspruchsvolle Themen zugleich offen und klug moderiert zur Sprache kommen können. Die repräsentative Demokratie beruht darauf, dass der von Parteien nicht nur aufgenommene, sondern zugleich gebildete Wille des Volkes im Parlament zur Sprache kommt. Solange man keine Alternativen zu den vielen Filtern hat, die diesen Prozess ermöglichen, musste man sich mit ihm zufriedengeben. Die direkte Demokratie hat andere Nachteile. Sie lässt sich, würde ich sagen, zu schnell von den polarisierenden Zuspitzungen der Massenmedien kapern. Wir brauchen neue und andere Foren, um Dinge zur Sprache bringen zu können, die in der Parteienkommunikation versanden. Die sozialen Medien scheinen hier alle Vorteile auf ihrer Seite zu haben. Aber sie sind ja nur der erste Schritt. Noch fehlt der zweite Schritt, nämlich eine Moderation von Foren derart, dass eine informierte Meinungsbildung zustande kommen kann. Bislang sind die sozialen Medien Verstärker von Echokammern. Es käme jedoch darauf an, Meinung und Wissen, Meinung und Gegenmeinung, Wissen und Kritik miteinander auszutauschen. Die Menschheit hat das Lagerfeuer, den Markt, den Tempel, das Parlament, die Universität und die Massenmedien erfunden, um sich über die eigenen Zustände zu informieren, Meinungen auszutauschen und Kritik üben zu können. Eine eigene Form, die diese Errungenschaften im digitalen Zeitalter noch einmal neu erfindet, fehlt offenbar.

Werden die „neuen Medien“ dazu beitragen, dass die Wahlbeteiligung in Zukunft steigt, weil der Zugang zu politischen Inhalten einfacher wird?

Ich glaube nicht, dass die Wahlbeteiligung von der Nutzung neuer Medien abhängt. Sie hängt davon ab, ob es hinreichend kontroverse Themen gibt, die sowohl in den alten wie in den neuen Medien bewegt werden. Man beteiligt sich, wenn man glaubt, einen Unterschied machen zu können, und sei er noch so klein. Und dazu muss man eine Wahl haben.

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