Sören Schulz erzählt von seinen Erfahrungen in Luthers Waschsalon.

Prägende Momente

Ich komme gerade durch die Tür, da höre ich schon meinen Namen: „Herr Schulz, kommen Sie schnell! Sie müssen nach jemandem sehen!“ Ein Mann liegt vor Schmerzen gekrümmt auf dem Boden des Wartebereichs. Er ist blass und zittert.

Die Diagnose: Nierenkoliken. Der Arzt ist noch nicht im Haus, doch eine Entscheidung muss her. Ich erfahre von dem Mann, der den Kranken begleitet, dass Luthers Waschsalon die letzte Anlaufstelle ist.

Bei der Rettungsstelle wurden beide– zwei Gastarbeiter aus Bulgarien ohne Aufenthaltsgenehmigung und Krankenversicherung – abgewiesen. Mittlerweile sind auch Arzt und Pfleger da, gemeinsam schreiben wir die dringend notwendige Einweisung.

Schnell rufen wir noch im Krankenhaus an: „Da kommt jemand, der Hilfe braucht. Er ist nicht krankenversichert, aber wir wissen, dass er zu Ihnen kommt.“ Was das heißt, ist allen klar – er kann nicht abgelehnt werden. Diesen Tag vergesse ich nie.

Solche und andere - zum Glück weniger dramatische - Szenen erlebte ich als Medizinstudent in Luthers Waschsalon. Die soziale Einrichtung der Diakonie in Hagen bietet Menschen am Rande der Gesellschaft einen geschützten Raum zum Frühstücken, Duschen und Waschen.

Darüber hinaus finden dreimal in der Woche human- und zahnmedizinische Sprechstunden statt. Dabei kooperiert Luthers Waschsalon mit der Universität Witten/Herdecke. Studierende der Humanmedizin können hier als Teil ihres Studiums Erfahrungen im Fach Allgemeinmedizin sammeln. 

Viel Zeit für Patienten

Auch ich entschied mich in meinem 5. Semester für die Teilnahme an dem Projekt. Anderen Menschen zu helfen empfand ich schon immer als sinnstiftende Tätigkeit. Durch meine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger fand ich bereits vor dem Studium die Möglichkeit dazu und ich denke auch heute noch gern an diese Zeit zurück. Die Arbeit in Luthers Waschsalon war für mich daher von Anfang an eine Herzensangelegenheit.

Ich wusste sofort, dass hier einiges anders ist, als ich es bereits aus der regulären Patientenversorgung kannte. Hier trifft man, unter der Supervision von ehrenamtlich tätigen (meist pensionierten) ärztlichen Kollegen, auf „nicht alltägliche“ Patienten mit komplexen Problemen. Mal gibt es Sprachbarrieren, die den Einsatz von Händen und Füßen erfordern, mal geht es vor allem um den Aufbau von Vertrauen.

In Luthers Waschsalon sind angehende Ärzte sehr nah an den Menschen und ihren Problemen - in medizinischer und in sozialer Hinsicht. Hier geht es nicht ausschließlich um die direkte medizinische Hilfe. Es ist ebenso wichtig, die jeweilige Lebenssituation zu erfassen, die nicht selten die eigentliche Ursache des gesundheitlichen Problems darstellt. Wenn ich es dann schaffe, den Patienten zu ermutigen, den Sozialarbeiter eine Tür weiter zu kontaktieren, um auch die soziale Notlage „zu behandeln“, habe ich viel erreicht. Das vorrangige Ziel ist es immer, die Menschen wieder in die Regelversorgung zu integrieren.

Für Studierende ist es vorteilhaft, dass die rein medizinischen Aspekte ein wenig in den Hintergrund rücken. Dadurch bleibt mehr Zeit, um sich mit den Ärzten auszutauschen und ihre Methoden kennenzulernen. Zudem liegt der Fokus auf der Kommunikation. So viel wie hier habe ich selten gelernt – und das in kurzer Zeit.

Durch die Arbeit in Luthers Waschsalon konnte ich Virchows Ausspruch „Die Medizin ist eine soziale Wissenschaft ...“ selbst nachempfinden, denn die Arbeit in dem Projekt sensibilisiert für eine ganzheitliche Perspektive der Patientenbetreuung, die nicht beim medizinischen Problem endet. Seit meiner Arbeit in Luthers Waschsalon ist mir bewusst, dass wir als angehende Ärzte und Ärztinnen nur ein Glied in einer langen Versorgungskette sind. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die täglich in unserem Gesundheitswesen geleistet wird, habe ich erst dort auf diese Weise erfahren.

Engagement wird geschätzt

Das ehrenamtliche Engagement der Mitarbeiter des Waschsalons sowie deren respekt- und würdevolle Umgang mit Menschen, denen sonst oft mit Vorurteilen und Ausgrenzung begegnet wird, hat mich vom ersten Tag an zutiefst beeindruckt. Als ich zu Luthers Waschsalon stieß, war die Auslastung mit Studierenden jedoch gering. Gründe hierfür vermutete ich in einem mangelnden Bekanntheitsgrad und einem fehlenden studentischen Ansprechpartner. Kurzerhand entschloss ich mich, diesen Umstand zu ändern. Das ging unkomplizierter als gedacht: Zwei E-Mails und einen Anruf später war ich der offizielle Ansprechpartner für Luthers Waschsalon. Seitdem bringe ich Studierende mit der Diakonie in Hagen in Kontakt und erstelle die Dienstpläne – mit Erfolg: Das Projekt ist in der Regel mit drei bis vier Medizinstudierenden gut ausgelastet. Auf diese Weise kann ich Luthers Waschsalon bis zu meinem Studienende weiter verbunden bleiben.