Wissenschaftliche Hintergründe/Forschung

Hintergründe

Impfmüdigkeit ist laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine der zehn größten Gesundheitsbedrohungen weltweit (World Health Organization [WHO], 2019), denn Impfungen zählen zu den größten Fortschritten für die Gesundheit der Bevölkerung (Centers for Disease Control and Prevention [CDC], 2011). Ihr Einfluss auf die Prävention verschiedener Krankheiten wird als sehr hoch eingeschätzt, sodass schon für Säuglinge die Immunisierung gegen eine Vielzahl von Krankheiten empfohlen wird (Whitney, Zhou, Singleton & Schuchat, 2014). Somit empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) für das erste Lebensjahr bis zu zehn Impfdosen gegen zwölf Erreger. Diese werden an fünf bis sechs Terminen in bis zu drei Impfungen pro Termin verabreicht, weil häufig Mehrfachimpfstoffe gegen bis zu sechs Erreger in einem Impfstoff verabreicht werden.

Einflüsse auf die Allergieentwicklung
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In den letzten Jahrzehnten haben zunehmend Menschen Allergien entwickelt. Die Liste möglicher Einflussfaktoren ist lang. Welchen Einfluss Impfungen auf die Allergieentwicklung haben können, dazu ist die aktuelle Studienlage jedoch widersprüchlich: Während manche Studien neben dem schützenden Effekt vor Erkrankung auch eine Verminderung allergischer Erkrankungen sehen, beobachten andere Studien das Gegenteil (Bernsen et al., 2008; Timmermann et al., 2015; Jensen, Andersen und Stensballe, 2019; Hooker und Miller, 2020). Deshalb können aktuell keine Aussagen darüber gemacht werden, welchen Einfluss verschiedene Impfungen auf die Entwicklung atopischer Erkrankungen haben (Navaratna et al., 2021). Auch die Möglichkeit, dass der Impfzeitpunkt einen Einfluss haben könnte, ist ungeklärt. Gründe für diese Widersprüchlichkeit könnten unterschiedliche Impfstoffe, Impfzeitpunkte oder, wie der Vergleich mit anderen Ländern zeigt, verschiedene Impfstrategien sein. Auch diese sind jedoch bisher unerforscht. Die gewählten Studiendesigns sind allesamt retrospektiv und betrachten oft nur einen kurzen Zeitraum nach der Impfung (Nilsson et al., 2017).

Auf dieser Grundlage wird die Frage „Welchen Einfluss haben Impfungen im ersten Lebensjahr auf die Entwicklung von allergischer Dermatitis, Asthma Bronchiale, Heuschnupfen oder Lebensmittelallergien?“ untersucht.

Impfberatung

Einflüsse auf die Impfentscheidung, angelehnt an das 5C-Modell nach Betsch et al. (2018)
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Wird ein Kind geboren, so werden Eltern kurz nach der Geburt mit der Impfentscheidung konfrontiert, da die erste Impfung mit sechs Wochen empfohlen wird. Die Entscheidung kann sich für die Eltern schwierig gestalten, vor allem wenn unterschiedliche Impfstrategien bekannt sind, oder Erfahrungen mit dem Impfen und Nicht-Impfen gemacht wurden. Eine große Bedeutung wird dabei dem Vertrauen zuteil. So kann das Vertrauen in die Impfung, aber auch das Vertrauen in das Fachpersonal, das über die Impfung aufklärt, einen entscheidenden  Einfluss auf die Impfentscheidung haben (Fu, Zimet, Latkin & Joseph, 2017; Ratz, 2015).  Ärztinnen und Ärzte sind in diesem Zusammenhang häufig die ersten Ansprechpartner. Allerdings wird die Impfberatung für Kassenärztinnen und -Ärzte nicht vergütet und es bleibt nur wenig Zeit.

Auch das Wissen über Impfungen, kann für Eltern ein wichtiger Baustein in der Entscheidungsfindung sein. Wie die Informationsvermittlung und die Entscheidungsfindung zusammenhängen, ist jedoch unklar. In einer vorangegangenen qualitativen Studie konnten Hinweise darauf herausgearbeitet werden, dass nicht nur das Wissen über mögliche Folgen, sondern auch die Informationsübermittlung die Entscheidung beeinflussen kann und Eltern sich eine unabhängige Impfberatung wünschen (Ratz, 2015). Dass ein reiner Wissenszuwachs nicht zu einer besseren Entscheidung führt, hat sich auch in der Corona-Pandemie gezeigt, in der die Informationsflut hinsichtlich Impfungen zunahm. Die allgemeinen Impfungen bei Kindern gingen jedoch zurück (DAK-Gesundheit, 2022).

Diese Beobachtungen stehen allerdings im Gegensatz zu allgemeinen Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Horstkötter, N. et al., 2021). Laut dieser Befragung haben 78% der befragten Eltern von Kindern zwischen 0 und 13 Jahren kein Interesse an weiteren Informationen zum Thema impfen. Außerdem wurde angedeutet, dass impfkritische Eltern eher keine weiteren Informationen wünschen. Allerdings war der Anteil der Eltern, die sich Informationen wünschen in der Altersgruppe der 0-2-jährigen Kinder größer, als in anderen Altersgruppen.

Um den Weg der Entscheidungsfindung und den Bedarf an Unterstützung und Beratung erfassen zu können, werden die Eltern in der Studie vor und nach der ersten vorgesehenen Impfserie befragt. Dabei werden die Einflüsse auf die Entscheidungsfindung der Eltern und die stattgefundene und erwünschte Beratung bezüglich der Impfentscheidung deskriptiv untersucht. Die Befragung ist eingebettet in die Gesamtstudie und findet anhand von Online-Fragebögen statt. Die Befragungszeitpunkte beziehen sich auf ein Lebensalter von ca. 6 und ca. 12 Wochen, was dem Zeitpunkt vor und nach dem ersten in Deutschland empfohlenen Impfblock entspricht.

Methodisches Vorgehen

Ablauf der Studie. Fragezeitpunkte orientiert am Alter des Kindes, den Vorsorgeuntersuchungen und der Impfempfehlung
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Um einen möglichst guten Beitrag zur Beantwortung leisten zu können, werden diese Fragen in Form einer prospektiven Kohortenstudie untersucht. Dabei werden werdende Eltern und Eltern von Kindern bis zu einem Alter von sechs, maximal 12 Wochen durch Fachpersonal (z.B. Ärztinnen und Ärzte, Hebammen, sozial Tätige) eingeladen an der Studie teilzunehmen. Die Eltern erhalten dann bis zum fünften Geburtstag zu verschiedenen Zeitpunkten, die sich an den empfohlenen Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen orientieren, Online-Fragebögen. Die Inhalte umfassen den Gesundheits- und Impfstatus des Kindes sowie die Impfeinstellung und verschiedene Einflussfaktoren hinsichtlich der Allergieentwicklung. Am Studienende (zum Zeitpunkt der U9) können Eltern den behandelnden Kinderärztinnen und -Ärzten ein Formular zur Abfrage der Studienendpunkte allergische Dermatitis, Asthma Bronchiale, Heuschnupfen oder Lebensmittelallergien vorlegen (siehe Abbildung).

Quellen:

Betsch, C., Schmid, P., Heinemeier, D., Korn, L., Holtmann, C. & Böhm, R. (2018). Beyond confidence: Development of a measure assessing the 5C psychological antecedents of vaccination. PLoS ONE, 13(12), e0208601. doi.org/10.1371/journal.pone.0208601

Bernsen, R. M. D. & van der Wouden, J. C. (2008). Measles, mumps and rubella infections and atopic disorders in MMR-unvaccinated and MMR-vaccinated children. Pediatric Allergy and Immunology : Official Publication of the European Society of Pediatric Allergy and Immunology, 19(6), 544–551. https://doi.org/10.1111/j.1399-3038.2007.00684.x

Centers for Disease Control and Prevention. (2011). Ten great public health achievements--worldwide, 2001-2010. MMWR. Morbidity and Mortality Weekly Report, 60(24), 814–818.

Fu, L. Y., Zimet, G. D., Latkin, C. A. & Joseph, J. G. (2017). Associations of trust and healthcare provider advice with HPV vaccine acceptance among African American parents. Vaccine, 35(5), 802–807. doi.org/10.1016/j.vaccine.2016.12.045

Hooker, B. S. & Miller, N. Z. (2020). Analysis of health outcomes in vaccinated and unvaccinated children: Developmental delays, asthma, ear infections and gastrointestinal disorders. SAGE Open Medicine, 8, 2050312120925344. https://doi.org/10.1177/2050312120925344

Horstkötter N, Desrosiers J, Müller U, Ommen O, Reckendrees B, Seefeld L, Stander V, Goecke M, Dietrich M (2021): Einstellungen, Wissen und Verhalten von Erwachsenen und Eltern gegenüber Impfungen – Ergebnisse der Repräsentativbefragung 2020 zum Infektionsschutz. BZgA Forschungsbericht. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. doi.org/10.17623/BZgA:111-IFSS-2020

Jensen, A., Andersen, P. K. & Stensballe, L. G. (2019). Early childhood vaccination and subsequent mortality or morbidity: are observational studies hampered by residual confounding? A Danish register-based cohort study. BMJ Open, 9(9), e029794. https://doi.org/10.1136/bmjopen-2019-029794

Navaratna, S., Estcourt, M. J., Burgess, J., Waidyatillake, N., Enoh, E., Lowe, A. J. et al. (2021). Childhood vaccination and allergy: A systematic review and meta-analysis. Allergy, 76(7), 2135–2152. https://doi.org/10.1111/all.14771

Nilsson, L., Brockow, K., Alm, J., Cardona, V. [Victoria], Caubet, J.‑C., Gomes, E., . . . Zanoni, G. (2017). Vaccination and allergy: Eaaci position paper, practical aspects. Pediatric Allergy and Immunology : Official Publication of the European Society of Pediatric Allergy and Immunology, 28(7), 628–640. https://doi.org/10.1111/pai.12762

Ratz, F. (2015). Qualitative Studie über den Entscheidungskonflikt von Eltern bezüglich der Impfung ihrer Kleinkinder.

Timmermann, C. A. G., Osuna, C. E., Steuerwald, U., Weihe, P., Poulsen, L. K. [Lars K.] & Grandjean, P. (2015). Asthma and allergy in children with and without prior measles, mumps, and rubella vaccination. Pediatric Allergy and Immunology : Official Publication of the European Society of Pediatric Allergy and Immunology, 26(8), 742–749. doi.org/10.1111/pai.12391

Whitney, C. G., Zhou, F., Singleton, J. & Schuchat, A. (2014). Benefits from Immunization During the Vaccines for Children Program Era — United States, 1994–2013. MMWR. Morbidity and Mortality Weekly Report, 63(16), 352–355.

World Health Organization. (2019). Ten threats to global health in 2019. Zugriff am 28.09.2021. Verfügbar unter: https://www.who.int/news-room/spotlight/ten-threats-to-global-health-in-2019

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