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Systemtheorie und Feminismus – Wie passt das zusammen?

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Systemtheorie und Feminismus

Systemtheorie und Feminismus – Wie passt das zusammen?

Auch wenn das Verhältnis zwischen der Frauenbewegung und (den überwiegend männlichen) systemtheoretischen Denkern nicht immer das entspannteste war, ist es an der Zeit, den Dialog zu wagen. Frederike Ronnefeldt zeigt auf, dass Judith Butler und Niklas Luhmann mehr gemein haben, als es auf den ersten Blick erscheint. Die Paradoxien der Kategorie Geschlecht – und die Unvermeidbarkeit diesen (nicht nur) nur in der systemischen Familientherapie zu begegnen – ist ein Thema, das beide angeht.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen – man denke etwa an Ursula Pasero – haben die Frauenbewegung und ihre TheoretikerInnen bislang ein eher distanziertes Verhältnis zur soziologischen Systemtheorie. Dies prägt auch die bislang eher spärliche Beschäftigung der Protagonisten der systemischen Familientherapie mit Geschlechterfragen, wie Frederike Ronnefeldt zu Beginn ihrer lesenswerten Abschlussarbeit mit dem Titel „Systemtheorie und Feminismus – ein Widerspruch“ aufzeigt. Vielmehr läuft das Thema Mann und Frau eher unterschwellig mit. Praktisch gesehen werden Gespräche gern durch ein zweigeschlechtliches Team geführt, theoretisch bleiben Geschlechterstereotypen und die hiermit einhergehenden Engführungen jedoch üblicherweise im blinden Fleck, da man nicht so recht weiß, wie man sie zu fassen bekommt. Noch stärker ist die Sprachlosigkeit in Hinblick auf Forderungen von Emanzipation und Geschlechtergleichstellung.

Es ist das Verdienst von Ronnefeldt, gerade auch auf Ebene der theoretischen Konzeptionalisierung den Dialog zu suchen, also zu fragen, ob nicht auf dem heutigen Stand der Forschung mehr Parallelen zwischen feministischer Theorie und systemtheoretischem Denken bestehen, als allgemeinhin angenommen wird. Erstere entfaltet und systematisiert Ronnefeldt anhand der Frage, „ob Männer und Frauen als von Natur aus gleich“ oder „verschieden“ angesehen bzw. welche unterschiedlichen Forderungen hieraus abgeleitet werden.

Genau hieran setzt jedoch dann auch die klassische systemtheoretische Kritik an der Frauenbewegung an. Wer die Frage nach dem Geschlecht stellt, ist damit gleichzeitig in der Falle, die Geschlechterfrage zu reifizieren. Wer Mann und Frau sagt, führt einen Unterschied ein, der Bedeutung hat, legt implizit auch einen Präferenzwert fest (etwa dass die Frau benachteiligt ist) und schafft damit performativ genau die soziale Realität, die doch eigentlich vermieden werden sollte. Eigentlich – so die berechtigte Forderung der Frauenbewegung – sollte doch die Frage des Geschlechts in Hinblick auf die Chancen der gesellschaftlichen Teilhabe keine Rolle spielen.

Ronnefeldt zeigt nun auf, dass insbesondere mit Judith Butler auch die Frauenbewegung sich dieser Problematik zu stellen beginnt. Es wird deutlich, dass das „Geschlecht keine vordiskursive, anatomische Gegebenheit sein“ kann. Vielmehr zeigt sich, „dass das Geschlecht (sex) definitionsgemäß immer schon Geschlechteridentität (gender) gewesen ist.“ (Butler 1991, S. 26). Hier trifft Butler auf Luhmann: Ohne die performative Praxis des Bezeichnens kein Geschlecht und kein ‚Gender Trouble‘. Dies heißt jedoch dann nicht, dass es keine biologischen oder sonstigen Unterschiede zwischen Menschen geben mag, doch diese sind schon immer durch das Medium Sinn gegangen, also durch sozial angelieferten Sinn durch Bedeutung aufgeladen worden, wodurch unweigerlich Stereotypisierungen stattfinden, die dann ihrerseits in einer self-fulfilling-prophecy wirksam werden. Die systemtheoretische Beschreibung weiß dabei sehr genau zwischen Körper, Psyche und dem System sozialer Erwartungen, welche die Person konstituieren, zu unterscheiden – und sie weiß, dass die Beziehungen zwischen diesen Ebenen nur lose gekoppelt sind. So kann es sein, dass ein Mensch mit männlichem Körper, auf psychischer Ebene eher so fühlt, wie es weiblichen Stereotypen entspricht und auch in Hinblick auf die von ihm eingenommen sozialen Rollen eher fürsorgliche, altruistische Aufgaben übernimmt.

Dabei ist all dies eigentlich schon in der systemtheoretischen Theoriedisposition bereits angelegt, wenngleich es bislang noch nicht so recht aufgearbeitet wurde. Sie vermutet, dass die Systemtheorie eine Interessenpräferenz auf Fragen der gesellschaftlichen Funktionssysteme hat, in der die Frage des Geschlechts durch die funktionale Engführung keine Rolle spielt (die Wirtschaft interessiert nicht, ob eine Frau oder ein Mann bezahlt, der Wert einer wissenschaftlichen Erkenntnis hängt nicht vom Geschlecht des Entdeckers oder der Entdeckerin ab). Ronnefeldt zeigt jedoch überzeugend auf, dass sich dies jedoch in der Interaktion anders darstellt: Körper sind unübersehbar, ebenso wenig wie die stereotypisierenden performativen Antworten. Damit wird Geschlecht jedoch in Organisationen, in denen sich Menschen von Angesicht zu Angesicht begegnen, dann doch bedeutsam – ob man will oder nicht. Auch die Systemtheorie hat damit gute Gründe, auch Geschlecht als gesellschaftliche Kategorie anzuerkennen. Damit würde sich dann nochmals in besonderer Weise die Frage stellen, wie die Verbindung von Körper, Psyche und Sozialem konditioniert wird. Möglicherweise bedarf es dabei, so die Vermutung, weiterer Theorieressourcen, um die Verschränkung dieser Ebenen in den Blick zu nehmen – etwa die Bourdieusche Habitustheorie, die um die Verkörperung sozialer Semantiken weiß und damit nochmals in besonderer Weise die Frage des Geschlechts anerkennen lässt, ohne dabei einem biologistischen oder psychologistischen Missverständnis aufzusitzen, denn Geschlecht ist kein Begriff, der sich essentialistisch erschließt, sondern einer Relation verdankt.

Darüber hinaus weist Ronnefeldt mit Recht darauf hin, dass die Systemtheorie in Hinblick auf die Konzeptionalisierung der Familie ein Reflexionsdefizit hat, da sie entgegen ihrem eigenen Theorieanspruch ein triviales Geschlechtermodell voraussetzen muss, das den empirischen Verhältnissen der modernen Gesellschaften schon lange nicht mehr gerecht wird.

All dies zusammenfassend wird abschließend nach den Implikationen für die systemische Familientherapie gefragt. Es wird deutlich, dass es wenig Sinn macht, gleichsam das Kind mit dem Bade auszuschütten und so zu tun, als ob man ohne Geschlecht „neutral“ agieren könne. Doch das Doing Gender sollte seinerseits reflexiv zugänglich gemacht werden, um die hiermit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten im Guten wie im Schlechten zu erkennen, und auch um in der Geschlechterfrage produktiv – das heißt heilsam – intervenieren zu können.

 

Ronnefeldt, F. (2020), Systemtheorie und Feminismus ein Widerspruch? Eine Analyse systemtheoretischer Perspektiven auf Geschlecht und Implikationen für die systemische Familientherapie

 

 

 

Beitrag vom 08.03.2021

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