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Zur Missbrauchsfrage im Buddhismus und im Christentum

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Ursula Rieke und Werner Vogd beim Buddhistisch-Christlichen Dialogforum

Zur Missbrauchsfrage im Buddhismus und im Christentum

Warum nicht nur auf den Täter geschaut werden sollte und sexueller und spiritueller Missbrauch eine organisationsethische Frage ist, erörtern Prof. Dr. Ursula Rieke und Prof. Dr. Werner Vogd am 19.11.2020 im Buddhistisch-Christlichen Dialogforum in Frankfurt am Main.

Das gesamte Interview hier ansehen.

Das Zusammentreffen ist der Verdienst von Dr. Thomas Wagner von der katholischen Akademie Frankfurt/Main, der zu diesem Thema eingeladen hat und zusammen mit Susanna Faust-Kallenberg die sensible Moderation zu dieser heiklen Frage übernommen hat. Die üblichen Umgangsweisen neigen dazu, entweder wegzuschauen – was nicht sein darf, kann nicht sein – oder zu skandalisieren. Beides ändert jedoch nichts an der Systemdynamik, die zu dem Problem führt, sondern verstärkt sie vielmehr noch, da sie das Stigma nährt.

Im Gespräch wird demgegenüber deutlich, dass der erste Schritt darin besteht, den verwirrenden Komplex von Nähe, Erotik, Sexualität und Macht erst einmal anzuerkennen, der in intensiven seelsorgerischen oder therapeutischen Beziehungen oftmals entsteht. Gerade hier entsteht der Nährboden für jene Grauzonen, der dann leicht überschritten werden kann, wenn die professionellen Akteure nicht hinreichend gelernt haben, ihre Emotionen und Bedürfnissen zu reflektieren.

Im Gespräch wurde dabei auch deutlich, dass es neben dem sexuellen Missbrauch einen spirituellen Missbrauch gibt. Dieser manifestiert sich insbesondere in Beziehungen und organisatorischen Zusammenhängen, die Menschen zum Lügen und Verdrängen von Problemen bringen. Hierdurch wird die Chance für Aufarbeitung und damit auch die Chance für Schuldanerkenntnis, Versöhnung und Vergebung verbaut. Gerade für die Opfer ist es unabdingbar, dass die Dinge so benannt werden, wie sie sind, und die Verantwortlichen ihre (Mit-)Schuld bekennen – auch wenn sie „nur“ darin gelegen hat, ihrerseits wegzuschauen oder den Betroffenen kein Gehör zu schenken.

Nicht zuletzt kommen organisationsethische Fragen ins Spiel: Religiöse und spirituelle Institutionen neigen mit Blick auf ihr edles Ziel dazu, zu glauben, dass es richtig sei, Probleme nach außen und innen zu verleugnen – um dann umso stärker blamiert zu sein, wenn die Verfehlungen dann doch öffentlich werden. Zugleich fehlt es – wie Ursula Rieke aufzeigt – in der Ausbildung ihres Personals an einer sensiblen psychologischen und sexualtherapeutisch informierten Betreuung. Ebenso fehlt es oft an einem pragmatischen ethischen Code of Conduct, der den betroffenen Klerikern und spirituellen Lehrern sowie ihren Vorgesetzten den Weg weist, wie sich angemessen durch die Grauzonen gefährdeter Geistlichkeit durchmanövrieren lässt.

Diese und andere Fragen (etwa die Probleme der „magischen Verklärung“) wurden im Gespräch ebenso sensibel wie direkt anhand aktueller Beispiele erörtert. Unabhängig von ihrem spirituellen Hintergrund war dabei allen Beteiligten klar, dass Seelsorge und die Aufgabe, Menschen auch in Zukunft eine spirituelle Beheimatung zu bewahren, so wichtig ist, dass die hiermit beauftragten Institutionen und Gemeinschaften nicht umhinkommen, sich dem Thema sexueller und spiritueller Missbrauch in einer Weise stellen, die ihrer Verantwortung gerecht wird.

 

Beteiligte:

Prof. Dr. Ursula Rieke, von der Katholischen Hochschule Mainz, ab dem 1. April 2019 bischöfliche Beauftragte bei Missbrauchsverdacht im Bistum Limburg.

Prof. Dr. Werner Vogd, Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Witten/Herdecke, Autor des Buchs „Der ermächtigte Meister“

Dr. Thomas Wagner, Katholische Akademie Frankfurt/Main

Susanna Faust-Kallenberg, Pfarrstelle für interreligiösen Dialog Frankfurt/Main und Offenbach

 

Das gesamte Interview hier ansehen.

 

Literatur:

Werner Vogd (2019): Der ermächtigte Meister: Eine systemische Rekonstruktion am Beispiel des Skandals um Sogyal Rinpoche. Heidelberg: Carl Auer Verlag.

 

Kontakt:

Werner Vogd

Werner.Vogd@uni-wh.de

Beitrag vom 24.11.2020

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