Einfluss von Impfungen im ersten Lebensjahr auf die Entwicklung von Allergien
Impfmüdigkeit ist laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine der zehn größten Gesundheitsbedrohungen weltweit (World Health Organization [WHO], 2019), denn Impfungen zählen zu den größten Fortschritten für die Gesundheit der Bevölkerung (Centers for Disease Control and Prevention [CDC], 2011). Ihr Einfluss auf die Prävention verschiedener Krankheiten wird als sehr hoch eingeschätzt, sodass schon für Säuglinge zu einer Immunisierung gegen eine Vielzahl von Krankheiten geraten wird (Whitney, Zhou, Singleton & Schuchat, 2014).
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt für das erste Lebensjahr bis zu 14 Impfdosen gegen ebenso viele Erreger. Dabei handelt es sich häufig um Mehrfachimpfstoffe, die vor bis zu sechs Erregern schützen sollen (Robert Koch-Institut, 2024). Die Empfehlungen für die Impfzeitpunkte variieren in den unterschiedlichen europäischen Ländern; auch der in Deutschland empfohlene Impfplan wird nicht von allen Eltern eingehalten. Unklar ist, welchen Einfluss verzögerte Impfungen auf die gesundheitliche Entwicklung von Kindern haben (ECDC, 2024).
Einflussfaktoren
In den letzten Jahrzehnten haben Menschen zunehmend Allergien entwickelt. Die Liste möglicher Einflussfaktoren ist lang. Welchen Einfluss die unterschiedlichen Impfungen auf die Allergieentwicklung haben können, dazu ist die aktuelle Studienlage widersprüchlich: Während manche Studien neben dem schützenden Effekt vor Erkrankung auch eine Verminderung allergischer Erkrankungen sehen, beobachten andere Studien das Gegenteil (Bernsen et al., 2008; Timmermann et al., 2015; Jensen, Andersen und Stensballe, 2019; Hooker und Miller, 2020).
Deshalb können aktuell keine Aussagen darüber gemacht werden, welchen Einfluss verschiedene Impfzeitpunkte und Impfungen auf die Entwicklung atopischer Erkrankungen haben (Navaratna et al., 2021). Gründe für diese Widersprüchlichkeit könnten unterschiedliche Impfstoffe, Impfzeitpunkte oder, wie der Vergleich mit anderen Ländern zeigt, verschiedene Impfstrategien sein. Auch diese sind bisher unerforscht. Die gewählten Studiendesigns sind allesamt retrospektiv und betrachten oft nur einen kurzen Zeitraum nach der Impfung (Nilsson et al., 2017). Um einen möglichst umfassenden Blick auf die Gesundheit der Kinder zu bekommen, fragen wir in der INITIAL-Studie neben den atopischen Erkrankungen auch sämtliche andere Erkrankungen ab, sodass auch Hinweise auf andere Auswirkungen ermittelt werden können.

Einflüsse auf die Allergieentwicklung
Auf dieser Grundlage wird die Frage „Welchen Einfluss haben Impfungen im ersten Lebensjahr auf die Entwicklung von allergischer Dermatitis, Asthma Bronchiale, Heuschnupfen oder Lebensmittelallergien?“ untersucht.
Impfberatung
Kurz nach der Geburt eines Kindes werden Eltern mit der Impfentscheidung konfrontiert, da die erste Impfung mit sechs Wochen empfohlen wird. Die Entscheidung kann sich für die Eltern schwierig gestalten, vor allem wenn unterschiedliche Impfstrategien bekannt sind, oder Erfahrungen mit dem Impfen und Nicht-Impfen gemacht wurden. Vertrauen ist dabei von großer Bedeutung: So kann das Vertrauen in die Impfung, aber auch das Vertrauen in das Fachpersonal, das über die Impfung aufklärt, einen entscheidenden Einfluss auf die Impfentscheidung haben (Fu, Zimet, Latkin & Joseph, 2017; Ratz, 2015). Ärzt:innen sind in diesem Zusammenhang häufig die ersten Ansprechpartner:innen. Allerdings wird die Impfberatung für Kassenärzt:innen nicht vergütet; daher wird ihr oft nur wenig Zeit eingeräumt.
Auch das Wissen über Impfungen kann für Eltern ein wichtiger Baustein in der Entscheidungsfindung für die Impfungen ihres Kindes sein. Wie Informationsvermittlung und die Entscheidungsfindung zusammenhängen, ist jedoch unklar. In einer vorangegangenen qualitativen Studie konnten wir Hinweise darauf herausarbeiten, dass nicht nur das Wissen über mögliche Folgen, sondern auch die Informationsübermittlung die Entscheidung beeinflussen können und Eltern sich eine unabhängige Impfberatung wünschen (Ratz, 2015).
Dass ein reiner Wissenszuwachs nicht zu einer besseren Entscheidung führt, hat sich auch in der Corona-Pandemie gezeigt, in der die Informationsflut hinsichtlich Impfungen zunahm. Die Impfungen bei Kindern gingen jedoch zurück (DAK-Gesundheit, 2022).

Einflüsse auf die Impfentscheidung angelehnt an das 5C-Modell nach Betsch et al. (2018)
Diese Beobachtungen stehen im Gegensatz zu allgemeinen Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Horstkötter, N. et al., 2021). Laut dieser Befragung haben 78% der befragten Eltern von Kindern zwischen 0 und 13 Jahren kein Interesse an weiteren Informationen zum Thema Impfen. Außerdem wurde angedeutet, dass impfkritische Eltern eher keine weiteren Informationen wünschen. Der Anteil der Eltern, die sich Informationen wünschen, war in der Altersgruppe der 0 – 2-jährigen Kinder größer als in anderen Altersgruppen.
Um den Weg der Entscheidungsfindung und den Bedarf an Unterstützung und Beratung erfassen zu können, befragen wir Eltern vor und nach der ersten vorgesehenen Impfserie. Dabei werden die Wünsche von Eltern, die Impfungen eher befürworten, mit denen von Eltern, die Impfungen eher ablehnen, verglichen. Außerdem untersuchen wir die Einflüsse auf die Entscheidungsfindung der Eltern und die stattgefundene und erwünschte Beratung bezüglich der Impfentscheidung deskriptiv. Die Befragung ist eingebettet in die Gesamtstudie und findet anhand von Online-Fragebögen statt. Die Befragungszeitpunkte beziehen sich auf ein Lebensalter von ca. 6 und ca. 12 Wochen, was dem Zeitpunkt vor und nach dem ersten in Deutschland empfohlenen Impfblock entspricht.
Methodisches Vorgehen
Um einen möglichst guten Beitrag zur Beantwortung leisten zu können, wird die Forschungsfrage in Form einer prospektiven Kohortenstudie untersucht. Fachpersonal (z. B. Ärzt:innen, Hebammen, sozial Tätige) laden werdende Eltern und Eltern von Kindern bis zu einem Alter von sechs, maximal zwölf Wochen ein, an der Studie teilzunehmen. Die Eltern erhalten dann bis zum sechsten Lebensjahr zu verschiedenen Zeitpunkten, die sich an den empfohlenen Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen orientieren, Online-Fragebögen. Die Inhalte umfassen den Gesundheits- und Impfstatus des Kindes sowie die Impfeinstellung und verschiedene Einflussfaktoren hinsichtlich der Allergieentwicklung.
Nach fünf Jahren (zum Zeitpunkt der U9) können Eltern den behandelnden Kinderärzt:innen ein Formular zur Bestätigung oder Verneinung der Studienendpunkte allergische Dermatitis, Asthma Bronchiale, Heuschnupfen oder Lebensmittelallergien vorlegen.
Weitere Informationen
Quellen
Betsch, C., Schmid, P., Heinemeier, D., Korn, L., Holtmann, C. & Böhm, R. (2018). Beyond confidence: Development of a measure assessing the 5C psychological antecedents of vaccination. PLoS ONE, 13(12), e0208601. doi.org/10.1371/journal.pone.0208601
Bernsen, R. M. D. & van der Wouden, J. C. (2008). Measles, mumps and rubella infections and atopic disorders in MMR-unvaccinated and MMR-vaccinated children. Pediatric Allergy and Immunology : Official Publication of the European Society of Pediatric Allergy and Immunology, 19(6), 544–551. https://doi.org/10.1111/j.1399-3038.2007.00684.x
Centers for Disease Control and Prevention. (2011). Ten great public health achievements--worldwide, 2001-2010. MMWR. Morbidity and Mortality Weekly Report, 60(24), 814–818.
European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC). (2024). Vaccine schedules in all countries in the EU/EEA. Zugriff am 01.09.2024. Verfügbar unter: https://vaccine-schedule.ecdc.europa.eu/
Fu, L. Y., Zimet, G. D., Latkin, C. A. & Joseph, J. G. (2017). Associations of trust and healthcare provider advice with HPV vaccine acceptance among African American parents. Vaccine, 35(5), 802–807. doi.org/10.1016/j.vaccine.2016.12.045
Hooker, B. S. & Miller, N. Z. (2020). Analysis of health outcomes in vaccinated and unvaccinated children: Developmental delays, asthma, ear infections and gastrointestinal disorders. SAGE Open Medicine, 8, 2050312120925344. https://doi.org/10.1177/2050312120925344
Horstkötter N, Desrosiers J, Müller U, Ommen O, Reckendrees B, Seefeld L, Stander V, Goecke M, Dietrich M (2021): Einstellungen, Wissen und Verhalten von Erwachsenen und Eltern gegenüber Impfungen – Ergebnisse der Repräsentativbefragung 2020 zum Infektionsschutz. BZgA Forschungsbericht. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. doi.org/10.17623/BZgA:111-IFSS-2020
Jensen, A., Andersen, P. K. & Stensballe, L. G. (2019). Early childhood vaccination and subsequent mortality or morbidity: are observational studies hampered by residual confounding? A Danish register-based cohort study. BMJ Open, 9(9), e029794. https://doi.org/10.1136/bmjopen-2019-029794
Navaratna, S., Estcourt, M. J., Burgess, J., Waidyatillake, N., Enoh, E., Lowe, A. J. et al. (2021). Childhood vaccination and allergy: A systematic review and meta-analysis. Allergy, 76(7), 2135–2152. https://doi.org/10.1111/all.14771
Nilsson, L., Brockow, K., Alm, J., Cardona, V. [Victoria], Caubet, J.‑C., Gomes, E., . . . Zanoni, G. (2017). Vaccination and allergy: Eaaci position paper, practical aspects. Pediatric Allergy and Immunology : Official Publication of the European Society of Pediatric Allergy and Immunology, 28(7), 628–640. https://doi.org/10.1111/pai.12762
Ratz, F. (2015). Qualitative Studie über den Entscheidungskonflikt von Eltern bezüglich der Impfung ihrer Kleinkinder.
Timmermann, C. A. G., Osuna, C. E., Steuerwald, U., Weihe, P., Poulsen, L. K. [Lars K.] & Grandjean, P. (2015). Asthma and allergy in children with and without prior measles, mumps, and rubella vaccination. Pediatric Allergy and Immunology : Official Publication of the European Society of Pediatric Allergy and Immunology, 26(8), 742–749. doi.org/10.1111/pai.12391
Whitney, C. G., Zhou, F., Singleton, J. & Schuchat, A. (2014). Benefits from Immunization During the Vaccines for Children Program Era — United States, 1994–2013. MMWR. Morbidity and Mortality Weekly Report, 63(16), 352–355.
World Health Organization. (2019). Ten threats to global health in 2019. Zugriff am 28.09.2021. Verfügbar unter: https://www.who.int/news-room/spotlight/ten-threats-to-global-health-in-2019
Studienablauf

Ablauf der Studie. Fragezeitpunkte orientiert am Alter des Kindes, den Vorsorgeuntersuchungen und der Impfempfehlung.