Die Professur für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie ist derzeit vakant

Ziele lassen sich als Bausteine der Persönlichkeit begreifen und unterliegen, ebenso wie die gesamte Entwicklung, biologischen, psychologischen und sozio-strukturellen Einflüssen. Sie sind daher besonders geeignet, Entwicklungsdynamiken über die Lebensspanne zu untersuchen. Hierbei interessieren vor allen Dingen Prozesse der Zielverfolgung und Zielablösung.

Zielverfolgung ist vor allen Dingen dann angebracht, wenn die Opportunitäten zur Zielerreichung günstig sind. Aus einer Lebensspannenperspektive bietet sich zur Untersuchung von Zielverfolgung die erste Hälfte des Lebenslaufs besonders an. Besonders gut lässt sich Zielverfolgung im Bildungsbereich untersuchen, weil

(a) die Entwicklungsergebnisse (v.a. Schulleistungen) klar definiert und verhältnismäßig gut messbar sind,

(b) die Kontexte zur Zielerreichung durchaus vorteilhaft sind, auch wenn hier natürlich auch große Varianz besteht,

(c) sowohl individuelle (z.B. Selbstregulation) als auch soziale Prozesse (z.B. Peereinflüsse) eine Rolle spielen und

(d) das Thema heute eine große gesellschaftliche Relevanz hat.

Meine Forschungsfragen in diesem Bereich sind:

• Wie lassen sich Schulleistungen (insbesondere langfristige) messen und die damit verbundenen methodischen Herausforderungen bewältigen?
• Was sind die motivationalen Grundlagen von Schulleistungen und wie lassen sich diese fördern? Lässt sich Motivation auch objektiv messen und beschreiben?
• Welche Rolle spielt Feedback für Lernzuwächse (und Entwicklungsgewinne allgemein) und wie lässt sich Feedback gezielt einsetzen um Lernzuwächse zu fördern?
• Was sind „positive Nebenwirkungen“ von Schulleistungen und welche Rolle spielen diese für die Entwicklung in Kindheit und Jugend?

Beispielstudien:

Vorhersage des erfolgreichen Übergangs von der Schule in den Beruf (z.B. Tomasik, Hardy, Haase, & Heckhausen, 2009);

Langfristige Verläufe von Schulleistungen (z.B. Moser, Oostlander & Tomasik, 2018);

Positive Entwicklung im Jugendalter als Funktion von Schulleistungen (Tomasik, Napolitano & Moser, in Druck);

Epistemologische und forschungsmethodische Aspekte von Schulleistungsfeedback (laufend)

Zielablösung wird dann relevant, wenn verschiedene Ziele in Konflikt zueinander stehen oder wenn die individuellen Ressourcen bzw. sozio-strukturellen Bedingungen zur Zielerreichung nicht (mehr) vorteilhaft sind. Zielablösung wird dann notwendig, obwohl sie nicht immer den gesellschaftlichen Normen und Idealen entspricht, während die Unwilligkeit oder Unfähigkeit zur Zielablösung problematische Konsequenzen (z.B. Depressivität) nach sich ziehen kann. Insbesondere bindet die nicht erfolgte Zielablösung individuelle Ressourcen in unerreichbaren Vorhaben, so dass diese dann an anderer Stelle nicht zur Verfügung stehen.

Meine Forschungsfragen in diesem Bereich sind:

• Wer schafft es, sich von Zielkonflikten und unerreichbaren Zielen zu lösen und wer nicht? Warum gelingt es manchen Menschen besser und manchen weniger gut und welche Rolle spielen hier Lebenserfahrung, Persönlichkeit, kulturelle und religiöse Überzeugungen oder genetische Faktoren?
• Lässt sich Zielablösung als ein intentionaler Prozess verstehen und wenn ja, in welchem Ausmaß? Wie lässt sich nicht-intentionale Zielablösung messen?
• Wie entwickelt sich die Fähigkeit zur Zielablösung in der Kindheit, wo findet sich deren Ursprung und was sind die Prozesse, die mit dieser Fähigkeit einhergehen?
• Lässt sich die Fähigkeit zur adaptiven Zielablösung trainieren? Wo sind die effektivsten Ansatzpunkte und gibt es Altersunterschiede in der Trainierbarkeit dieser Fähigkeit?
• Welche Rolle spielen Altersstereotype bei altersbedingten Ablöseprozessen?

Beispielstudien:

Ablösung von ausbildungsbezogenen Zielen am Übertritt auf die Hochschule (Tomasik & Salmela-Aro, 2012);

Zielbeziehung in multiplen Zielsystemen (Tomasik, Knecht & Freund, 2017);

Entwicklungsförderliche Effekte einer positiven Sicht auf das Älterwerden (Wurm, Tesch-Römer & Tomasik, 2007);

Rolle von religiösen Überzeugungen für die Zielablösung (Lechner, Tomasik, Silbereisen & Wasilewski, 2015)

Die oben skizzierten Prozesse von Zielverfolgung und Zielablösung sind häufig alterskorreliert, was praktische Beschränkung für deren längsschnittliche oder gar experimentelle Erforschung mit sich bringt. Mein dritter Forschungsschwerpunkt zielt daher auf die Frage, inwieweit der Wandel von Kontexten als Forschungsparadigma verwendet werden kann, um die Prozesse von Zielverfolgung und Zielablösung zu verstehen. Kontextueller Wandel kann dabei auf unterschiedlichen Ebenen beobachtet werden, angefangen über große politische Umwälzungen (wie etwa dem Fall der Berliner Mauer) über die Veränderung regionaler Strukturen (wie etwa der Abwicklung der Montanindustrie im Ruhrgebiet) bis zu Veränderungen im Arbeits-, Familien-, und Freizeitkontext (wie etwa der Arbeitslosigkeit der Eltern).

Neben dem forschungspraktischen Aspekt hat dieser Forschungsschwerpunkt auch den Reiz, dass gesellschaftlich relevante Phänomene wie etwa Globalisierung, Digitalisierung und Migration im Mittelpunkt der Untersuchung stehen.

Meine Forschungsfragen in diesem Bereich sind:

• Wie gehen Menschen mit kontextuellem Wandel um? Wer nutzt die sich neu ergebenden Möglichkeiten und wer vermeidet diese? Welche Rolle spielen hier Lebenserfahrung, Persönlichkeit, kulturelle und religiöse Überzeugungen oder genetische Faktoren?
• Welche Kontextebene ist für Prozesse der Zielverfolgung und Zielablösung psychologisch relevant und was sind die Merkmale, an denen Menschen die Opportunitäten und Beschränkungen auf den unterschiedlichen Ebenen bewerten?
• Was sind die konkreten Mechanismen, über die sich kontextueller Wandel in individuelles Verhalten übersetzt?
• Wie lässt sich kontextueller Wandel experimentell im Labor simulieren und wie realistisch gelingt das?

Beispielstudien:

Anforderungen des sozialen Wandels in Ost- und Westdeutschland (Tomasik & Silbereisen, 2009);

Auswirkung von Globalisierung auf die Entwicklungsaufgaben des Jugendalters (Tomasik & Silbereisen, 2011);

Ablösung von Anforderungen des sozialen Wandels als Funktion der regionalen Opportunitätsstruktur (Tomasik & Silbereisen, 2012);

Untersuchung des Sommerlocheffekts auf Schulleistung in Abhängigkeit von der sozialen Herkunft der Schüler (laufend)

Neben den oben genannten inhaltlichen Fragestellungen beschäftigt sich die Professur mit der Weiterentwicklung von Forschungsmethoden. Einerseits werden innovative experimentelle Paradigmen und Auswertungsverfahren entwickelt und validiert. Gegenwärtig kommen dafür Technologien der virtual reality (VR) und des natural language processing (NLP) aus dem Bereich des machine learning zur Anwendung. Andererseits geht es auf der Ebene der statistischen Modellierung um die Entwicklung von Methoden zur Bestimmung von developmental scores, zur Sicherstellung von Messäquivalenz, zur funktionalen Analyse von Bewegungsdaten oder zur Analyse kausaler Muster in intensiven längsschnittlichen Daten. In diesem Bereich kooperiert die Professur mit Partnern aus der Mathematik und der Informatik.

Meine Forschungsfragen in diesem Bereich sind:

• Lässt sich menschliche Zielverfolgung mathematisch modellieren? Welche Operationalisierungen und Modelle sind dafür geeignet?
• Wie kann man sicherstellen, dass bei allen Personen das gleiche Merkmal, die gleiche Fähigkeit gemessen wird?
• Welche statistischen Modelle sind geeignet, intensive intraindividuelle Verlaufsdaten zu modellieren? Was ist zu beachten, wenn sich die manifesten Indikatoren der latenten Merkmale über die Zeit verändern?
• Was sind die Möglichkeiten und Grenzen von VR als Paradigma für Leistungsdiagnostik, zur Messung kontextueller Einflüsse und zur Aktivierung von Altersstereotypen?

Beispielstudien:

Anwendung verhaltensbiologischer Modelle zum optimal foraging auf menschliche Zielverfolgung und Zielablösung (Tomasik, Knecht & Freund, 2017)

Messäquivalenz und differential item functioning in probabilistischen Messmodellen (Appelbaum, Lefering, Wolff, Tomasik & Ostermann, 2019)

Modellierung intensiver längsschnittlicher Verlaufsdaten in personenzentrierten Modellen (laufend)

Nutzung von VR-Technologien zur Aktivierung von Altersstereotypen (laufend)