Forschung zur seelischen Gesundheit in Unternehmerfamilien - Gespräch mit Magdalena Wendt
Auf einen Kaffee mit: Eine Gesprächsreihe mit interessanten Persönlichkeiten aus dem Umfeld der UW/H.

Der Professional Campus im Gespräch mit Magdalena Wendt, UW/H-Alumna, Dozentin im Qualifizierungsprogramm Gesellschafter:innenkompetenz (GKE) und Promovendin zur seelischen Gesundheit in Unternehmerfamilien.
Magdalena Wendt, M.Sc., M.A., ist klinische Psychologin, zertifizierte Mediatorin und Unternehmerfamilienberaterin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am WIFU-Stiftungslehrstuhl für Organisation und Entwicklung von Unternehmerfamilien, sowie am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie III der Universität Witten/Herdecke (UW/H). Außerdem lehrt Magdalena Wendt im Weiterbildungsprogramm Gesellschafter:innenkompetenz (kurz GKE) und ist ab Herbst 2025 in dieser Funktion Dozierendennachfolgerin von WIFU-Stiftungsvorstand Tom Rüsen.
Professional Campus: Liebe Magdalena, Du promovierst zum Thema “Seelische Gesundheit in Unternehmerfamilien“ im Kooperationsforschungsprojekt vom Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) und dem Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie III der UW/H.
Wie kamst Du dazu?
Magdalena Wendt: Mein Weg zu diesem Thema war sowohl fachlich als auch persönlich motiviert. Schon während meines Bachelor- und Masterstudiums der Psychologie an der UW/H habe ich mich intensiv mit klinischer Psychologie und Psychotherapie beschäftigt. Dabei hat mich zunehmend interessiert, wie psychische Gesundheit nicht nur im individuellen, sondern auch im systemischen Kontext – etwa in Familien – verstanden und gefördert werden kann.
Durch mein ergänzendes „Ethik und Organisation“-Masterstudium an der UW/H konnte ich diesen Blickwinkel noch einmal erweitern und stärker mit Fragestellungen aus der Organisationsperspektive verbinden. Hier habe ich bewusst den Schwerpunkt auf Familienunternehmertum und Unternehmerfamilien gelegt. Denn diese sind dabei ein besonders spannendes Feld: Sie verbinden familiäre Dynamiken mit unternehmerischer Verantwortung – beides Themen, die mich persönlich sehr ansprechen.
Parallel zu meinen Studien habe ich mich kontinuierlich weitergebildet. Unter anderem zur international zertifizierten Mediatorin (DACH) sowie im Bereich systemischer Aufstellungen und Biografiearbeit. Diese Aus- und Fortbildungen haben mir Werkzeuge an die Hand gegeben, um komplexe familiäre und organisationale Prozesse besser zu verstehen und zu begleiten. Alles mit dem Ziel, Menschen und Systeme ganzheitlich in ihrer Entwicklung unterstützen zu können.
Durch meine mehrjährige Tätigkeit zunächst als studentische Hilfskraft an der WIFU-Stiftung und später als wissenschaftliche Mitarbeiterin am WIFU habe ich viele vertiefende Einblicke in die Welt der Unternehmerfamilien gewinnen können. Dort entstand auch die Verbindung zum aktuellen Kooperationsforschungsprojekt. Die Möglichkeit, meine psychologische Expertise mit der familienunternehmerischen Forschung zu verbinden, hat mich sofort begeistert – und so bin ich schließlich Teil des interdisziplinären Forschungsprojektes zur„Seelische Gesundheit in Unternehmerfamilien“ geworden. Dadurch entstand mein Promotionsvorhaben, das ich heute mit großer Leidenschaft neben meiner beratenden Tätigkeit weiterverfolge.
Professional Campus: Du blickst auf eine langjährige Beratungstätigkeit im Umfeld von Familienunternehmen und Unternehmerfamilien zurück; außerdem warst Du noch während des Studiums an der Organisation des 23. Kongresses für Familienunternehmen (kurz FUK) beteiligt, einer Großveranstaltung für Familienunternehmen, die jährlich an der UW/H stattfindet.
Woher kam die Leidenschaft und das Interesse für Familienunternehmen?
Magdalena Wendt: Mein Interesse für Familienunternehmen und insbesondere die Familien hinter den Unternehmen hat sich über die Jahre sehr organisch und zugleich konsequent entwickelt – aus einer Kombination persönlicher Neugier, fachlicher Spezialisierung und praktischer Erfahrung. Die Organisation des Kongresses für Familienunternehmen war dabei auf jeden Fall besonders prägend. Dort habe ich zum ersten Mal erlebt, wie vielschichtig, emotional und gesellschaftlich relevant das Thema Familienunternehmertum mit all seinen Facetten tatsächlich ist. Das hat mich nicht mehr losgelassen.
Seitdem habe ich mich sowohl wissenschaftlich als auch in der Beratung intensiv mit Unternehmerfamilien beschäftigt und gearbeitet – mit einem besonderen Fokus auf psychologische und systemische Aspekte. Mein Forschungsschwerpunkt liegt heute auf der seelischen Gesundheit in Unternehmerfamilien, die ich aus klinisch-psychologischer Perspektive untersuche.
Daneben begleite ich Unternehmerfamilien u.a. in Governance-Prozessen, bei der Entwicklung von (Selbst-)Managementsystemen (beispielsweise die Erstellung von Familienverfassungen), sowie in Fragen der Nachfolgegestaltung und Konfliktmediation. Die Arbeit mit Unternehmerfamilien ist für mich deshalb so faszinierend, weil sie ökonomische, psychologische und interaktionelle Aspekte auf einzigartige Weise verbindet.
"Unternehmerfamilien tragen eine hohe Verantwortung – für das Unternehmen, die Mitarbeitenden, aber auch für sich selbst. Genau hier liegt mein Antrieb: dazu beizutragen, dass sie diese Verantwortung reflektiert, enkelfähig und gesund gestalten können."
Professional Campus: Ab Herbst 2025 bist Du die Dozierendennacholgerin für Tom Rüsen, der ja das Programm Gesellschafter:innenkompetenz ins Leben gerufen hatte. Wie würdest Du Dein Arbeitsverhältnis zu Tom Rüsen beschreiben: War/ist er so etwas wie ein Mentor für Dich? Wie verlief die Übergabe und Einarbeitung?
Magdalena Wendt: Die Zusammenarbeit mit Tom Rüsen schätze ich sehr. Schon seit meiner Tätigkeit bei der WIFU-Stiftung hatten wir die Gelegenheit, intensiv zusammenzuarbeiten. In der Übergangsphase hin zur Übernahme der Dozierendentätigkeit im Rahmen des GKE-Programms haben wir einen Seminar-Durchgang gemeinsam gestaltet. Das war nicht nur fachlich sehr bereichernd, sondern auch persönlich eine wertvolle Erfahrung. Ich habe dabei tiefe Einblicke in die Beweggründe erhalten, die zur Entstehung des Weiterbildungsprogramms geführt haben. Tom Rüsen teilte sehr offen seine Überlegungen zur inhaltlichen Rahmung und zur besonderen Rolle der Gesellschafter:innen in Familienunternehmen. In diesem Sinne war er für mich in der Tat eine Art Mentor – jemand, der mit viel Erfahrung, Klarheit und Menschlichkeit begleitet, aber auch Raum zur Weiterentwicklung lässt.
Ich freue mich sehr darauf, das GKE-Programm in diesem Sinne weiterzuführen: wissenschaftlich fundiert, praxisnah und mit einem starken Fokus auf die individuelle Realität der Teilnehmenden – und dabei die Impulse aus der langjährigen Arbeit von Tom Rüsen weiterzutragen und behutsam, sowie durch meine Expertisen bereichert, weiterzuentwickeln.
Professional Campus: Im Programm Gesellschafter:innenkompetenz verantwortest Du nun drei Module:
Modul 1 (Grundlagen Management von Unternehmerfamilien);
Modul 3 (Familienstrategie und Family Governance);
Modul 5 (Reflexion der eigenen Situation als Mitglied einer Unternehmerfamilie)
Worum geht es in diesen Modulen genau? Welchen Ansatz verfolgst Du?
Magdalena Wendt: Im Rahmen des Moduls 1 liegt der Fokus auf dem Basiswissen zu Unternehmerfamilien: Was macht sie aus? Welche systemischen Besonderheiten bringen sie mit – etwa in Bezug auf Kontextvermischung, Kommunikationsmuster, Interaktionen oder mentale Gesundheit? Ziel ist es, den Teilnehmenden nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern ihnen auch Tools an die Hand zu geben, mit denen sie ihre eigenen Rollen, Familiendynamiken und möglichen Konfliktfelder reflektieren und bearbeiten können.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt im 3. Modul, das sich intensiv dem familienstrategischen Prozess widmet. Wir diskutieren hier, wie ein solcher Prozess gestaltet werden kann, warum er sinnvoll ist und welche Herausforderungen davor und währenddessen auftreten können. Teilnehmende haben die Möglichkeit, ihre eigenen Erfahrungen mit einzubringen – zum Beispiel bestehende Familienfassungen – und zu reflektieren, welche Rolle auch mentale Gesundheit und ihre individuelle Nachfolgesituation in diesem Kontext spielen.
Das 5. Modul führen Heiko Kleve und ich gemeinsam durch. Es steht schließlich die Reflexion der eigenen Situation im Spannungsfeld der drei Logiken – Unternehmen, Eigentum und Familie – im Vordergrund. Wir schauen gemeinsam auf die Veränderungen, die sich durch das Weiterbildungsprogramm ergeben haben, und ermöglichen einen Raum, um persönliche Entwicklungsprozesse sichtbar und wirkungsvoll zu machen. Eine zentrale Frage wird dabei auch sein: Wie kann ich meine Learnings innerhalb meiner Familie wirksam machen?
Professional Campus: Nun liegt Dein Schwerpunkt auf Seelischer Gesundheit in Unternehmerfamilien.
Was sind denn die Besonderheiten im Familienunternehmen? Ist der Druck höher, die Gefahr für Konflikte in der Familie größer? Muss man anders mit der eigenen Verantwortung umgehen – etwa zu den Mitmenschen und dem Umfeld, aber auch zwischen den Generationen?
Magdalena Wendt: Tatsächlich gibt es bisweilen nur wenig Forschung zur seelischen Gesundheit, die das Familienunternehmen als einflussreichen Wirkfaktor auf Unternehmerfamilien berücksichtigt. Vielmehr wurde aufgelistet, welche Forschungsfragen bislang noch offen sind. Auch in der psychotherapeutischen Versorgung fehlt es oft an Wissen über die besonderen Strukturen und Belastungsmuster von Unternehmerfamilien. Genau hier setzt unser Forschungsprojekt „Seelische Gesundheit in Unternehmerfamilien“ an, das ich gemeinsam mit meinen Kolleg:innen Philipp Wichelhaus, Christina Hunger-Schoppe, Heiko Kleve und Tom Rüsen durchführe. Mit unseren Studien möchten wir erste Forschungslücken schließen und evidenzbasierte Antworten auf eine solche Interviewfrage ermöglichen. Zum einen führen wir eine repräsentative Befragung (WIFU-GESUND-Studie) durch, in der über 500 Unternehmerfamilien deutschlandweit zu Belastungen und gesundheitsfördernden Faktoren befragt werden. Diese Erhebung wurde Ende Juni 2025 abgeschlossen und befindet sich nun in der Auswertungsphase. Zum anderen läuft parallel meine Promotionsstudie – eine qualitative Interviewstudie mit dem Thema „Seelische Gesundheit im Kontext des gesamten Lebenszyklus einer Unternehmerfamilie“. Erste Analysen zeigen, dass Mitglieder von Unternehmerfamilien mit spezifischen Entwicklungsaufgaben konfrontiert sind – Aufgaben, die über das hinausgehen, was wir aus der allgemeinen Bevölkerungsforschung kennen. Eine wesentliche Besonderheit ist etwa die lebenslange Bezogenheit auf das Familienunternehmen – unabhängig davon, ob man operativ im Unternehmen tätig ist oder nicht. Unser Ziel ist es daher, durch empirisch fundierte Forschung ein besseres Verständnis dafür zu schaffen, wie psychische Gesundheit in Unternehmerfamilien gefördert werden kann und welche Unterstützung es braucht, um insbesondere in belastenden Phasen tragfähige (Familien-)Strukturen zu sichern.
Diese besonderen Dynamiken sind seit vielen Jahren Gegenstand systematischer Forschung, etwas des WIFUs, das sich seit seiner Gründung intensiv mit den Strukturen und Herausforderungen in Unternehmerfamilien beschäftigt. Bereits die Gründungsväter des Instituts haben diese komplexen Wechselwirkungen beleuchtet – ein Ansatz, der durch Arist von Schlippe weitergetragen und in den letzten Jahren insbesondere von Heiko Kleve vertieft wurde. Dadurch konnten wichtige Erkenntnisse über typische Muster, Konflikte und Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb von Unternehmerfamilien gewonnen werden. Diese werden auch in meine Module einfließen.
Professional Campus: Das Gesellschafter:innenkompetenz-Programm (GKE) läuft seit mehreren Jahren sehr erfolgreich. Nun geht GKE in die nächste Generation – Jüngere, auch weibliche Nachfolgerinnen sind in traditionellen Familienunternehmen keine Seltenheit mehr. Wie weitet oder verändert sich die Perspektive dadurch? Wie sieht die Führung von Familienunternehmen in Zukunft aus?
Magdalena Wendt: In Unternehmerfamilien findet – wie in der Gesellschaft insgesamt – ein tiefgreifender Wandel statt. Das zeigt sich nicht nur in veränderten, zunehmend egalitären Vererbungsstrukturen, sondern auch in einer vielfältigeren Vertiefung und Wechsel der mentalen Modelle. Dieser Wandel zeigt sich auch in Bezug auf die Rolle von Frauen, sowohl auf familiärer, als auch auf eigentumsbezogener und zunehmend auch unternehmerischer Ebene. Dabei geht es nicht nur um mehr Sichtbarkeit und Anerkennung von Frauen, ihrer Einflussnahme auf und ihrem Wirken in der Familie sowie im Unternehmen, sondern auch um strukturelle Fragen: Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit Nachfolge unabhängig vom Geschlecht fair gestaltet werden kann? Gerade in traditionellen Familienunternehmen werden heute neue Optionen sichtbar – und je mehr erfolgreiche Beispiele es gibt, desto selbstverständlicher werden auch alternative Modelle der Führung.
"Interessanterweise sind Unternehmerfamilien in mancher Hinsicht sogar Vorreiter: Sie sind es gewohnt, mit unterschiedlichen Rollen und Erwartungen umzugehen – mit Paradoxien zu leben und Ambiguitäten zu tolerieren."
Aus vielen persönlichen Gesprächen weiß ich: Viele Unternehmerfamilienmitglieder, insbesondere Frauen, engagieren sich heute aktiv dafür, Strukturen anzupassen, um es nachfolgenden Generationen leichter zu machen und alte verinnerlichte Denkmuster zu überholen. Dieser familienstrategische Wandel ist zentral für eine zukunftsfähige Führung von Familienunternehmen.
Professional Campus: Zum Schluss würde uns eine Sache interessieren: Wo sammelst Du Kräfte für all diese Aufgaben und Projekte? Hast Du einen Tipp für uns (und unsere Leser:innen)?
Magdalena Wendt: Von meinen Eltern habe ich bereits gelernt: Es ist wichtig, dass du Freude hast, an dem, was du machst und deine Arbeit dich erfüllt. Und ehrlich gesagt, schöpfe ich viel Kraft direkt aus meiner Arbeit. Ich arbeite unglaublich gerne mit Menschen zusammen, bin von Natur aus neugierig und finde es sehr bereichernd, Einblicke in Unternehmerfamilien zu bekommen, ihre Geschichten zu hören und sie in unterschiedlichen Entwicklungsphasen zu begleiten. Dazu kommt: Ich habe wirklich tolle Kolleg:innen, mit denen die Zusammenarbeit mir nicht nur professionell, sondern auch menschlich viel Freude bereitet.
Daneben habe ich ein sehr unterstützendes persönliches Umfeld: Mein Partner, meine Familie und enge Freund:innen – in gemeinsamer Zeit mit ihnen kann ich Kraft tanken. Und wenn es mal Zeit ist, wirklich zur Ruhe zu kommen, finde ich das vor allem in der Natur und in der Bewegung. Ob beim Spazierengehen oder Tanzen – das sind Momente, in denen ich komplett bei mir bin und neue Energie schöpfe.
Mein Tipp wäre also: Umgib dich mit Menschen, mit denen du gerne arbeitest und lebst – und finde Rituale, die dir guttun, ohne dass sie „Leistung“ sein müssen. Manchmal reicht es, einfach durchzuatmen, in der Natur zu sein oder zu tanzen.