Überschuldung verstehen, bevor sie krankmacht – wie Forschung dabei helfen kann
Ein Positionspapier unter Beteiligung der Uni Witten/Herdecke benennt Lücken in der Überschuldungsforschung – und macht konkrete Lösungsvorschläge.

Mehr als fünf Millionen Erwachsene in Deutschland gelten als überschuldet. Hinzu kommen Partner:innen, Kinder und Angehörige, die von finanziellen Engpässen ebenfalls betroffen sind. Trotzdem weiß die Wissenschaft noch immer viel zu wenig darüber, warum Menschen verschuldet sind und welche gesellschaftlichen und gesundheitlichen Auswirkungen das hat.
Prof. Dr. Eva Münster, Inhaberin der Professur für Allgemeinmedizinische Versorgungsforschung in vulnerablen Bevölkerungsgruppen am Institut für Allgemeinmedizin und Ambulante Gesundheitsversorgung (iamag) der Universität Witten/Herdecke (UW/H), hat gemeinsam mit weiteren Partner:innen ein Positionspapier entworfen, um auf die Versäumnisse in der Überschuldungsforschung aufmerksam zu machen – und Lösungen vorzuschlagen.
Was wir über Überschuldung wissen – und was nicht
„Man weiß zwar, dass plötzliche Lebenskrisen wie eine schwere Krankheit, eine Trennung oder der Verlust des Arbeitsplatzes zu Überschuldung führen können“, erklärt Prof. Dr. Münster. „Aber wie genau Scham, gesellschaftlicher Druck oder Brüche in der Biografie mit Überschuldung zusammenhängen, ist noch viel zu wenig erforscht.“
Oft fehlen grundlegende Daten: Es gibt keine unabhängige Übersicht darüber, wie viele Menschen in Deutschland tatsächlich von Überschuldung betroffen sind und welche Schulden sie haben. Denn nicht alle Schulden sind gleich: Konsumschulden, Mietrückstände, Immobilienkredite oder auch BAföG-Rückzahlungen betreffen unterschiedliche Lebenslagen – und erfordern unterschiedliche Lösungen. Auch Schuldnerberatungen arbeiten bislang ohne umfassende wissenschaftliche Begleitung, obwohl ihr Wissen wertvoll wäre, um Hilfsangebote gezielt zu verbessern. Neue Risiken wie digitale Konsumangebote („Jetzt kaufen, später zahlen“) und die besonderen Herausforderungen für Menschen mit Armuts- oder Migrationserfahrung werden kaum untersucht. Und obwohl Überschuldung ein internationales Problem ist, fehlt der Austausch über Ländergrenzen hinweg.
Das soll sich ändern. Die Expert:innen fordern:
• eine umfassende Bestandsaufnahme aller vorhandenen Daten und Studien
• den Aufbau eines dauerhaften Forschungsnetzwerks
• eine enge Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen
• die Entwicklung klarer Qualitätsstandards für die Überschuldungsforschung
• eine stärkere Verzahnung von Forschung, Beratungsstellen und Politik
Nur wenn Forschung, Politik und Praxis enger zusammenarbeiten, lassen sich die sozialen und gesundheitlichen Folgen von Überschuldung langfristig verringern. „Wir stehen bereit, gemeinsam mit anderen Disziplinen weiterzuforschen“, sagt Prof. Dr. Münster. „Denn nur mit fundiertem Wissen können wir Überschuldung besser verstehen – und den Menschen wirksamer helfen.“
Weitere Informationen:
Das Positionspapier entstand im von der VolkswagenStiftung geförderten Scoping-Workshop „Ver- und Überschuldungsforschung“. Beteiligt waren neben Prof. Dr. Eva Münster (UW/H) auch Dr. Sally Peters und Caro Berndt vom institut für finanzdienstleistungen e. V. (iff), Prof. Dr. Kerstin Herzog von der Hochschule RheinMain sowie Prof. Dr. Patricia Pfeil von der Hochschule Kempten.
Die Kurzfassung des Positionspapiers: www.iff-hamburg.de/wp-content/uploads/2025/05/Positionspapier_Ueberschuldungsforschung-Kurzfassung.pdf
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