Was kann wissenschaftliche Forschung von der Jazz-Improvisation lernen? – Gespräch mit Laura Fischer
Auf einen Kaffee mit: Eine Gesprächsreihe mit interessanten Persönlichkeiten aus dem Umfeld der UW/H.

Der Professional Campus im Gespräch mit Laura Fischer, UW/H-Alumna, Dozentin im Qualifizierungsprogramm Gesellschafter:innenkompetenz (GKE) – und Jazzsängerin!
Wir sprachen mit Laura Fischer über die Prinzipien guter Improvisation – und wie sich diese auf Teams und Führungsdynamiken in Unternehmen übertragen lassen.
Professional Campus: Hallo liebe Laura! Dich verbindet eine singuläre Geschichte mit der UWH … Wie kamst du auf das WifU und das Qualifizierungsprogramm GKE?
Laura Fischer: Meine Verbindung zur UW/H reicht mittlerweile fast zehn Jahre zurück. Ich habe hier sowohl Psychologie (B. Sc., M. Sc.) als auch Ethik und Organisation (M. A.) studiert – und mich früh mit komplexen Systemen, Rollen und Wandelprozessen auseinandergesetzt. Der Weg zum GKE war dabei weniger „singulär geplant“ als vielmehr durch glückliche Zufälle geprägt: Während meiner zweiten Masterarbeit habe ich mich selbstständig gemacht, parallel ein Jazzgesangsstudium begonnen – und begonnen zu erforschen, was die wissenschaftliche Forschung vom Jazz, insbesondere von Improvisation, lernen kann. Dabei entstand die Idee, die Prinzipien guter Improvisation – wie hohe Kompetenz, aber auch Präsenz, Reaktionsfähigkeit, kollektives Bewusstsein – auf Teams und Führungsdynamiken in Unternehmen zu übertragen. Ich habe daraufhin dem damaligen FUK-Team ein Workshop-Konzept vorgestellt – und durfte beim Familienunternehmer:innen-Kongress 2024 gemeinsam mit meiner Kollegin erste Improvisationsmethoden in einem Workshop mit den Teilnehmenden erproben. Das Feedback war durchweg positiv – auch von Birgit Beßler, die am Workshop teilnahm und gleichzeitig den Professional Campus repräsentierte. So entstand die Einladung, beim GKE mitzuwirken. Inzwischen ist mein erster Jahrgang, den ich begleiten darf, fast abgeschlossen – ich freue mich sehr auf den nächsten Jahrgang, der im September starten wird.
Professional Campus: Dein Einstieg ist auf jeden Fall eine Bereicherung: Eine Kollegin, die in dein Seminar reinschnuppern durfte, schwärmte darüber; die neuesten Teilnehmenden-Evaluationen sind uneingeschränkt positiv. Kannst du mehr zu deiner Rolle im Programm GKE erzählen?
Laura Fischer: Mein Anliegen ist es, einen Erfahrungsraum zu schaffen, in dem Teilnehmende mit sich selbst und ihrer Wirkung in Resonanz treten zu können. Dabei bringe ich meine Perspektiven als Psychologin, systemische Psychotherapeutin i. A. und Sängerin zusammen. Wir arbeiten sowohl mit Stimme, Stütze und Körpersprache als auch mit inneren Haltungen und Erwartungen. Eine Übung, die ich anbiete: Ich verteile Rhythmusinstrumente mit der Einladung, in Echtzeit aufeinander zu reagieren. Dabei wird oft deutlich: Führung hat nicht nur mit Kompetenz zu tun, sondern auch mit aktivem Zuhören, die Wahrnehmung der anderen wahrzunehmen, Kommunikation und besonders auch Mut, Handlungsmuster zu durchbrechen. Es geht darum, situativ und stimmig zu agieren – nicht darum, „richtig“ zu performen. Dabei spielt auch Einigungskompetenz eine Rolle – gerade dann, wenn Spannungsfelder be- oder entstehen und man nicht auf ein klares Richtig oder Falsch zurückgreifen kann.
„Führung hat nicht nur mit Kompetenz zu tun, sondern auch mit aktivem Zuhören, die Wahrnehmung der anderen wahrzunehmen, Kommunikation und besonders auch Mut, Handlungsmuster zu durchbrechen.“
Professional Campus: Präsenz zeigen, Räume schaffen, mit Gravitas oder gar ‘parkettsicher’ auftreten: Es liegt auf der Hand, dass Personen in Verantwortung ein breites Repertoire beherrschen sollten – auch wenn situatives, körperbasiertes Training in der Regel nicht Teil ihrer Grundausbildung ist. Besteht dann nicht die Gefahr, dass Führung mit Verführung verwechselt wird, wenn das Image im Vordergrund steht? Wie wird in den Modulen geübt und wo liegt der Akzent?
Laura Fischer: Wir arbeiten nicht an einem perfekten „Auftreten“, sondern am stimmigen Ausdruck – mit dem Ziel, bewusst und verantwortlich zu agieren. Das bedeutet, Präsenz zu entwickeln, ohne sich zu verstellen. Es geht darum, wie Stimme, Haltung und innere Klarheit wirken – nicht nur im Auftritt, sondern auch in Gesprächen, bei Konflikten oder Entscheidungen. Und ja – das Thema Ethik ist zentral. Wir arbeiten auch mit Selbstklärung: Wer bin ich als Person in Verantwortung? Mein Ansatz ist: Wirkung entsteht nicht durch Rollen, sondern durch Resonanz.
Professional Campus: Überzeugend sein – Stimmig sein, die eigene Stimme finden, andere überstimmen…
Ob sie es wollen oder nicht: Gesellschafter und deren Partner müssen in eine Gruppe einfinden. Denn sie sind Teil komplexer Systeme & Gruppendynamiken. In diesem Zusammenhang ist eine enge Zusammenarbeit mit Heiko Kleve entstanden. Wie ergänzt Ihr einander?
Laura Fischer: Unsere Zusammenarbeit lebt vom Perspektivenwechsel. Heiko bringt eine tiefe systemtheoretische Fundierung und eine enorme Beratungsvielfalt mit – ich ergänze das mit körper- und erfahrungsorientierten Methoden aus Gesang und Psychotherapie. Oft wechseln wir zwischen Theorie-Impuls und praktischer Übung, zwischen Analyse und persönlichem Erleben. Das schafft einen Rahmen, in dem Teilnehmende nicht nur „über“ Rollen oder Dynamiken sprechen, sondern sie konkret wahrnehmen und verändern können.
Professional Campus: Nicht zuletzt spielt das Thema Jazz & Improvisation bei dir eine Rolle.
Wie wichtig ist Improvisation als Kompetenz – und was ist in der Essenz der Mehrwert für GKE-Teilnehmende, die gewillt sind, ein Familienunternehmen durch turbulente Zeiten zu führen und es an die nächste und übernächste Generation zu übergeben?
Laura Fischer: Improvisation ist für mich eine Schlüsselkompetenz in einer Welt, die sich nicht vollständig planen lässt. Im Jazz lernen wir: Man muss nicht alles wissen – aber man muss bereit sein, zu hören, zu reagieren, mitzuspielen. Genau das brauchen auch Gesellschafter:innen: die Fähigkeit, mit Unsicherheiten umzugehen, Dissonanzen auszuhalten und trotzdem handlungsfähig zu bleiben. Improvisation heißt nicht Beliebigkeit, sondern Klarheit im Moment, Offenheit für das Neue – und das Vertrauen, gemeinsam Lösungen zu gestalten. Diese Haltung stärkt nicht nur die eigene Resilienz, sondern auch die Kommunikationsfähigkeit und das Bewusstsein für kollektive Prozesse.
Professional Campus: Vielen Dank für diese Einblicke und das Gespräch!