Zukunftsmedizin in Witten: Studierende gestalten die Gesundheitsversorgung verantwortungsvoll mit
Als erste Hochschule in Deutschland setzt die Universität Witten/Herdecke ein neues Lehrmodell der Harvard Medical School um. Die erste Kohorte hat den Pilotdurchgang erfolgreich abgeschlossen.

Wie werden Medizinstudierende zu Ärzt:innen, die nicht nur behandeln, sondern ihre Patient:innen empathisch begleiten – die Verantwortung übernehmen und das Gesundheitssystem verändern? Mit dem deutschlandweit ersten „Longitudinal Integrated Clerkship“ (LIC) stellt sich die Universität Witten/Herdecke (UW/H) dieser Frage ganz konkret – und bleibt damit ihrem Selbstverständnis treu: Lehre reformieren und junge Menschen zu urteilsfähigen Akteur:innen einer ganzheitlichen Gesundheitsversorgung auszubilden.
Elf Medizinstudierende des fünften Semesters haben als erste Kohorte das Pilotprojekt „LIC UW/H“ erfolgreich abgeschlossen: Sie begleiteten eigene Patient:innen über mehrere Monate hinweg durch den Behandlungsprozess, blieben im engen Austausch mit den betreuenden Ärzt:innen und arbeiteten interdisziplinär mit dem Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke sowie kooperierenden hausärztlichen Praxen zusammen. So lernten sie Fächer wie Innere Medizin, Chirurgie und Allgemeinmedizin nicht – wie sonst üblich – nach- und unabhängig voneinander. Stattdessen betrachteten sie das Zusammenspiel der Disziplinen entlang der Fragen und Themen, die sich aus der Versorgungspraxis ergeben. Zugleich hatten sie anstelle sonst üblicher Vorlesungen fallorientierte Seminare zu den Themen ihrer Patient:innen. Inhaltlich knüpft das Projekt an das „Cambridge Integrated Clerkship“ der Harvard Medical School an. Eine Arbeitsgruppe aus Boston war 2024 in Witten, um das Modell an deutsche Bedingungen anzupassen und im Einklang mit der Approbationsordnung weiterzuentwickeln.
„Im Gegensatz zu klassischen Blockpraktika und Famulaturen treten unsere Studierenden aus der meist passiven Rolle der Lernenden heraus. Sie bauen Beziehungen zu ihren Patient:innen auf, erleben Selbstwirksamkeit und gestalten Versorgung aktiv mit. Das ist nicht nur fachlich effektiv, sondern auch menschlich bereichernd – für beide Seiten“, sagt PD Dr. Christian Scheffer, Initiator des Projekts und Dozent im Integrierten Begleitstudium Anthroposophische Medizin (IBAM) an der UW/H.
Wechselseitiger Gewinn: Wenn Studierende mitgestalten
Schon jetzt verspricht der patient:innenzentrierte Ansatz sowohl nachhaltige Lernerfolge als auch emotionale Kompetenzförderung. „Bei den Vorbereitungen für die Prüfungen habe ich noch immer meine Patient:innen vor mir. Die Motivation ist eine ganz andere, wenn ich weiß, was Krankheitsbilder und Behandlungen tatsächlich bedeuten“, sagt Camille Espenkott, Medizinstudentin und Leiterin der studentischen Initiative „LIC UW/H – Klinik neu denken“. Gemeinsam mit ihren Kommiliton:innen des ersten Durchlaufs konnte sie begleitende Kursinhalte aktiv mitgestalten und ihre Praxiserfahrungen einfließen lassen.
Zugleich profitieren Patient:innen von der zusätzlichen Aufmerksamkeit und Begleitung der angehenden Mediziner:innen, die ihnen unter anderem komplexe Befunde übersetzen, sie zu Eingriffen begleiten oder ihnen schlicht durch Zuhören durch die Krise helfen. „Im LIC werden Studierende nicht zu Expert:innen für einen medizinischen Fall, sondern für die ganzheitliche Gesundheit ihrer Patient:innen – etwa für den Einfluss des Lebensstils, für psychosoziale Aspekte und existenzielle Fragen, die mit Krankheit und Heilung verbunden sind“, sagt PD Dr. Christian Scheffer.
Ein Modell mit Zukunft für die medizinische Lehre
Der neue Lehransatz für die praktische Ausbildung überzeugt die Medizinstudierenden in Witten. So ist die zweite Kohorte bereits gestartet. Um das LIC UW/H langfristig zu etablieren, wird das Projekt wissenschaftlich begleitet. Eine umfassende Evaluation untersucht, wie sich das Modell auf Lernprozesse, Prüfungsleistungen und auf die Versorgungsqualität auswirkt. Damit will die Universität Witten/Herdecke zeigen, wie sich medizinische Lehre, Gesundheitsversorgung und gesellschaftlicher Auftrag zusammen und neu denken lassen: Kleine Gruppen, studentische Mitgestaltung, beziehungsorientiertes Lernen und Veränderungskompetenz.
Weitere Informationen:
Ein erster Artikel zum LIC UW/H wurde in der Rubrik „Student’s Corner“ der Fachzeitschrift The Mind veröffentlicht und zeigt, wie das von Studierenden mitentwickelte Programm Wohlbefinden und Wirklichkeitssinn in der klinischen Ausbildung fördert.
Ein Hintergrund-Video mit PD Dr. Christian Scheffer (UW/H) und Prof. David Hirsh (Harvard Medical School) stellt das Modellprojekt vor. Nähere Informationen gibt es außerdem hier.
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