Zwischen Freiwilligkeit und Pflicht: Was die Wehrdienst-Debatte über Motivation verrät
Prof. Dr. Guido Möllering von der Universität Witten/Herdecke ordnet die aktuelle Diskussion um den Wehrdienst aus motivationstheoretischer Perspektive ein.

Nach mehr als 14 Jahren ohne Wehrpflicht soll ein neues Wehrdienstgesetzt mehr junge Menschen für den Dienst gewinnen. Geplant ist, dass alle jungen Männer – und freiwillig auch Frauen – zu ihrem 18. Geburtstag einen Online-Fragebogen erhalten. Darin sollen sie angeben, ob sie grundsätzlich bereit und körperlich in der Lage wären, Wehrdienst zu leisten. Wer Interesse zeigt, wird zur Musterung eingeladen. Ab 2027 soll diese Musterung für Männer wieder verpflichtend sein.
Der aktuelle Entwurf des Wehrdienstgesetzes ermöglicht es außerdem, die Wehrpflicht flexibel zu aktivieren, falls die freiwillige Werbung nicht ausreicht. Auch ein Losverfahren steht derzeit zur Diskussion. Damit entsteht ein System zwischen Freiwilligkeit, Pflicht und Zufall.
Prof. Dr. Guido Möllering, Direktor und Lehrstuhlinhaber am Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung (RMI) an der Universität Witten/Herdecke (UW/H) ordnet die Thematik und die verschiedenen Optionen aus einer motivationstheoretischen Perspektive ein.
Die vier Szenarien der Wehrpflichtdebatte
- Online-Fragebogen mit anschließender Musterung: ein freiwilliges System mit äußeren Anreizen
Junge Menschen, die sich im Fragebogen bereiterklären, Wehrdienst zu leisten, sollen eine höhere Vergütung als bisher oder Zuschüsse zum Führerschein bekommen. Hier setzt der Staat also auf Motivation durch Belohnung. Aus Sicht der Motivationsforschung ist das jedoch riskant. „Wenn Freiwilligkeit durch äußeren Druck oder übermäßige Belohnungen beeinflusst wird, melden sich weniger Menschen, die sonst aus echter Überzeugung dabei gewesen wären“, erklärt Möllering. In der Organisationsforschung wird dieser Effekt als „Crowding-out“ beschrieben: Äußere Anreize verdrängen die innere Motivation. Was gut gemeint ist, kann also den gegenteiligen Effekt haben – und den Dienst vom gesellschaftlichen Engagement hin zu einer rein bezahlten Pflicht verschieben. - Freiwilliges System mit verpflichtenden Elementen
Sollten sich im freiwilligen System zu wenig junge Menschen melden, kann es zur Verpflichtung kommen. Die Kriterien, nach denen dann ausgewählt werden soll, sind noch unklar. Ein Losverfahren (s. Szenario 3) wäre eine mögliche Option. In einem solchen Modell bliebe der Dienst formal freiwillig – wer sich nicht meldet, riskiert jedoch, später verpflichtet zu werden. „Viele warten dann ab, ob sich andere melden“, sagt Möllering. „Das Risiko steigt, dass am Ende der Zwang dominiert.“ Freiwilligkeit verliert damit ihren eigentlichen Charakter. - Losverfahren
Wenn sich nicht genug Freiwillige finden, könnte ein Zufallssystem greifen. Wer „gezogen“ wird, muss dienen – unabhängig von der eigenen Motivation.
„Ein Losverfahren schwächt das Gefühl der Selbstbestimmung“, sagt Möllering. „Dann hofft man, Glück zu haben – und will nicht zu denen gehören, die Pech hatten.“ Dadurch rücken die negativen Aspekte des Dienstes stärker in den Vordergrund. Motivation entsteht hier vor allem aus Pflichtgefühl oder Pragmatismus, nicht aus innerer Überzeugung. - Komplett freiwilliges System
Ein rein freiwilliger Dienst würde jene stärken, die den Wehrdienst als gesellschaftlich notwendig ansehen – Menschen, die aus Überzeugung handeln. „Moderne Ausstattung und gute Arbeitsbedingungen können freiwillige Motivation unterstützen“, so Möllering. „Aber entscheidend sind Sinn, Werte und Vertrauen – nicht nur finanzielle Anreize.“ Ein solches System setzt auf intrinsische Motivation, also auf Menschen, die sich aus eigenem Antrieb engagieren. Die Herausforderung: Der Staat muss genug Vertrauen schaffen, damit junge Menschen diesen Sinn auch erkennen.
Für die Politik bleibt das Dilemma bestehen: Finden sich zu wenige Freiwillige, muss sie das Prinzip der Freiwilligkeit aufgeben – und riskiert, die Motivation derjenigen zu schwächen, die eigentlich überzeugt wären.
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