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Nachricht vom 12.08.2021

Prof. Dr. Oliver Herber neu an die Universität Witten/Herdecke berufen

Prof. Dr. Oliver Herber neu an die Universität Witten/Herdecke berufen

Der Inhaber des Lehrstuhls für Community Health Nursing und Leiter des gleichnamigen Studienganges an der Universität Witten/Herdecke spricht im Interview mit Claudia Dinand über seine Aufgaben, seine Vision und was das Besondere am neuen Studiengang Community Health Nursing ist.

Sie haben in diesem Jahr den Lehrstuhl für Community Health Nursing und auch die Leitung des gleichnamigen Studienganges an der Universität Witten/Herdecke übernommen. Was ist das Besondere an diesem neuen Studiengang Community Health Nursing?

Das Besondere des Studiengangs Community Health Nursing ist, dass er ein deutliches Signal für die Weiterentwicklung der Akademisierung in der Pflege in Deutschland setzt. In Anlehnung an international etablierte Rollenbilder wie beispielsweise in Kanada, Großbritannien oder den skandinavischen Ländern, sieht das Konzept Community Health Nursing in Deutschland partiell eine Aufgabenneuverteilung bzw. Verlagerung ärztlicher Tätigkeiten vor, die es so bisher in Deutschland noch nicht gegeben hat. Durch die Etablierung von Community Health Nurses kommt es zu einer Erweiterung des Leistungsspektrums in der Primärversorgung. Konkret bedeutet dies, dass Pflegefachkräfte mit Masterabschluss zukünftig häufig vorkommende Routinetätigkeiten übernehmen. Sie leisten somit einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Primärversorgung in Deutschland und entlasten die Hausärzte. Neben der Durchführung von psychischen oder kognitiven Assessments, Wiederholungs- und Kontrolluntersuchungen oder der Überprüfung des Gesundheitszustandes kann je nach Setting auch die Anleitung zur Selbstpflege bei chronisch kranken Menschen Kernaufgabe einer Community Health Nurse sein. Zudem erweitert Community Health Nursing das Spektrum der beruflichen Weiterqualifizierung. Mit dem Zugewinn an eigenverantwortlichem Handeln wird eine angemessene Entlohnung gewährleistet, wodurch die Attraktivität des Berufsbildes gesteigert wird. Dies kann einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Pflegeberuf vorbeugen. Somit trägt der Studiengang Community Health Nursing nicht nur zu einer Stärkung der Attraktivität des Pflegeberufs in Deutschland bei, sondern bietet auch die nötigen Voraussetzungen, um die Primärversorgungsstrukturen langfristig für unsere Bürgerinnen und Bürger zu verbessern.

Wird die „Community Health Nurse“ die Pflegelandschaft verändern? Wie wird sich das konkret auswirken und welche strukturellen Voraussetzungen sind dafür weiter notwendig?

Meines Erachtens wird die Community Health Nurse die Pflegelandschaft in Deutschland nur dann nachhaltig verändern können, wenn die dafür notwendigen strukturellen Voraussetzungen geschaffen werden. Die akademische Ausbildung der Community Health Nurse auf Masterniveau zielt partiell auf den Erwerb erweiterter Kompetenzen für die selbstständige Ausübung von bislang dem Arzt vorbehaltenen Aufgaben ab. Dies wäre für Deutschland ein Novum, da bisher lediglich die Delegation im Vordergrund stand, bei der die Pflegefachkraft stellvertretend für die anordnende Ärztin bzw. den anordnenden Arzt die Aufgabe ausführt, ohne jedoch selbst die pflegerische und juristische Verantwortung zu übernehmen. Um das CHN-Konzept vollumfänglich realisieren zu können, anstatt nur einzelne Elemente zu verwirklichen, ist jedoch eine neue gesundheitspolitische Weichenstellung zwingend erforderlich. Ich hoffe daher sehr, dass die bevorstehenden Bundestagswahlen 2021 die dafür nötigen Voraussetzungen schaffen.

Was sind Ihrer Einschätzung nach die großen Herausforderungen und Chancen für die Zukunft der Pflegewissenschaft im universitären Kontext? Und welche Rolle spielt dabei der Aspekt Community Health?

Die größte Herausforderung der Pflegewissenschaft liegt nach mehr als 25 Jahren ihres Bestehens im Mangel an qualifiziertem Nachwuchs. Es bedarf dringend an ausreichend akademisch ausgebildeten Persönlichkeiten aus der Pflege, die sich in Bachelor- und Masterprogrammen sowie Doktorandenkollegs weiter qualifizieren, um sich dann als Habilitanden für die ausgeschriebenen Professuren an Hochschulen und Universitäten das nötige Rüstzeug anzueignen, die zur Etablierung und Konsolidierung eigener Forschungsschwerpunkte dringend benötigt werden. Denn nur wenn es gelingt, eine ausreichende Anzahl an gut bezahlten Stellen auf Bachelor- und Masterniveau mit den entsprechenden Kompetenzprofilen zu schaffen, entstehen Anreize für Pflegende, sich akademisch weiter zu bilden.
Eine der großen Chancen für die Zukunft der Pflegewissenschaft sehe ich hingegen in der Entwicklung von innovativen, umfassenden und qualitativ hochwertigen Versorgungsmodellen, die mit Beteiligung der Pflegewissenschaft entworfen und anschließend wissenschaftlich erprobt und evaluiert werden. Als Beispiel hierfür seien die sogenannten „Patientenorientierten Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung“, kurz PORTs, erwähnt. Diese werden aktuell von der Robert-Bosch-Stiftung gefördert und berufsgruppenübergreifend an verschiedenen Standorten in Deutschland erprobt. Im Vergleich zum Status quo erfüllen PORTs die Anforderungen eines gut entwickelten Primärversorgungssystems; sie stehen für einen Paradigmenwechsel in der grundlegenden Gesundheitsversorgung. In PORT-Gesundheitszentren kommt akademisch ausgebildeten Pflegefachpersonen mit erweitertem Aufgabenspektrum eine wesentliche Rolle zu. Der Community Health Nurse wird hierbei eine koordinierende („gate keeper“) Funktion zugesprochen.

Was bedeutet die Professur an der UW/H ganz persönlich für Sie?

Pionierarbeit. Spaß. Und eine neue Herausforderung.


Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, uns diese Fragen zu beantworten!

Claudia Dinand
In Namen des Orgateams: Webseite 25 Jahre Pflegewissenschaft

 

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