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Nachricht vom 13.10.2021
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„Wir müssen weg von einer arztzentrierten Patient*innen-Versorgung“

Helmut Budroni, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department für Pflegewissenschaft
Helmut Budroni, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department für Pflegewissenschaft

„Wir müssen weg von einer arztzentrierten Patient*innen-Versorgung“

Um den Pflegeberuf attraktiver und zukunftsfähig zu machen, müssen die Rahmenbedingungen in der Pflege deutlich verbessert werden, fordert Helmut Budroni vom Department für Pflegewissenschaft.

Dies könne u.a. durch eine bessere Entlohnung, mehr Mitsprachemöglichkeiten sowie interdisziplinäre Zusammenarbeit unterschiedlicher Berufsgruppen auf Augenhöhe erreicht werden, so der Wissenschaftliche Mitarbeiter im Department für Pflegewissenschaft der UW/H im Interview anlässlich des Deutschen Pflegetags 2021.

Was muss dafür getan werden, dass der Pflegeberuf attraktiver wird?
 
Zunächst einmal müssen vor allem die Rahmenbedingungen verbessert werden. Dazu zählt (wenn auch nicht primär) die Entlohnung – vor allem in den Bereichen, in denen diese nicht immer tariflich geregelt ist, wie in der Altenpflege und in der ambulanten Pflege. Die Arbeitsbedingungen sind zu verbessern, insbesondere durch bessere Arbeitszeiten und Personaluntergrenzen. Auch mehr Mitsprachemöglichkeiten durch eine Stärkung von Berufsverbänden und Selbstverwaltung sind wichtig.

Zudem müssen die Karrieremöglichkeiten verbessert werden: Die Akademisierungsprozesse müssen weiter ausgebaut werden, und die akademischen Abschlüsse müssen sich auch im Tarifgefüge wieder finden. Derzeit führt zum Beispiel ein Bachelor-Abschluss in der Pflege weder zu einer Verbesserung im Stellenprofil, noch zu einer Veränderung im Gehaltsgefüge. Für in der Praxis arbeitende Pflegende mit Hochschulabschluss bedeutet dies eine niedrige Bildungsrendite.

Wie kann die Rolle der Pflege in der Gesellschaft und Politik gestärkt werden?
 
Hier ist primär die Stärkung der berufsständischen Selbstverwaltung der Pflegeberufe durch die Einrichtung von Pflegekammern anzuführen,. Pflegekammern haben die Aufgabe, Grundsätze der Berufsordnung und einer Berufsethik zu entwickeln, und damit auch Standards der Aus- und Weiterbildung zu formulieren sowie deren Einhaltung zu kontrollieren. Damit tragen sie auch zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung von kranken und pflegebedürftigen Menschen bei. Zudemvertreten sie den Berufsstand in Gesellschaft und Politik und gegenüber anderen (berufsständischen) Organisationen im Gesundheits- und Sozialwesen.

Darüber hinaus bedarf es einer berufsbezogenen Gewerkschaft, wie es sie etwa auch in der Medizin gibt. Eine Pflegegewerkschaft, wie sie mit dem Bochumer Bund gegründet wurde, kann die Interessen der Pflegeberufe besser vertreten, als z.B. die Gewerkschaft Verdi, die zahlreiche Berufsgruppen vertritt, und hiervon abgesehen die Einrichtung von Pflegekammern nicht angemessen unterstützt und sich auch gegen die Akademisierung der Pflegeberufe stellt.

Und schließlich braucht es eine Stärkung der Berufsverbände, die als fachspezifische Berufsorganisationen sowohl für die Pflegeberufe selbst, wie auch für deren Vertretung in Gesellschaft und Politik eine wichtige Rolle einnehmen.

Die Politik ist ihrerseits gefordert, durch die Schaffung berufs-, sozial-, leistungs- und ordnungsrechtlicher Rahmenbedingungen die Entwicklung und Etablierung neuer, und auf die veränderten und sich verändernden Versorgungsbedarfe im Sozial- und Gesundheitswesen abgestimmte Berufsbilder zu fördern – zugunsten einer interdisziplinären und personzentrierten Gesundheitsversorgung. Aufgaben im Gesundheitswesen sind neu zu ordnen, um auch eine hochwertige Patient*innenversorgung auf lange Sicht sicherzustellen: Wir müssen weg von einer arztzentrierten Versorgung hin zu einer interdisziplinären Zusammenarbeit unterschiedlicher Berufsgruppen auf Augenhöhe. Diese Entwicklung wird etwa durch die Heilkundeübertragung bereits vorgezeichnet.
 
Wie muss sich das Berufsbild verändern, um eine langfristig eine gute Versorgung der Patient*innen zu gewährleisten?
 
Wichtig ist eine weitere Ausdifferenzierung der verschiedenen Pflegeberufe und der Expert*innenbildung in den Pflegeberufen. Der seit einigen Jahren in Entwicklung befindliche Prozess der Akademisierung ist wichtig, um den gesellschaftlichen Entwicklungen und Anforderungen an Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten Rechnung zu tragen. Dabei ist die grundständige Pflegeausbildung auf Bachelorniveau nach internationalen Vorbildernweiter voranzubringen.

Dazu gehört auch eine Ausbildungsvergütung für Pflegestudierende, ohne die eine Ausbildung zur Pflegefachkraft auf akademischem Wege für Interessierte weder finanzierbar noch leistbar ist. Über das grundständige Pflegestudium hinaus muss die Entwicklung und Weiterentwicklung unterschiedlichster Curricula auf Masterniveau gefördert werden, womit neue Berufsbilder geschaffen werden, die in den unterschiedlichsten Bereichen der Gesundheitsversorgung künftig gefordert sein werden.  
 
 Welche Rolle spielen dabei die Hochschulen?
 
Die Hochschulen haben die Aufgabe, neue und an die jeweils aktuellen Herausforderungen des Gesundheitswesens angepasste Curricula für zeitgemäße Studiengänge zu entwickeln. Dazu gehört auch die Forschung, die entsprechende Herausforderungen identifiziert und beschreibt, neue Versorgungsstrategien und -konzepte entwickelt, und die vor allem Wissenschaft und Praxis zusammenbringt.

Waren die letzten 30 Jahre der Hochschulentwicklung vor allem von der Etablierung pflegebezogener Studiengänge und den Akademisierungsbestrebungen und Theoriebildungsprozessen der Pflegeberufe, also der Etablierung einer eigenen (pflege-) wissenschaftlichen Disziplin geprägt, so muss es jetzt und in Zukunft noch viel mehr um die Vernetzung und Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis gehen. So, wie es in der Medizin seit jeher üblich ist, dass Professuren und Doktorate ihren Platz sowohl in Forschung und Lehre, als auch in der Klinik haben, so sind auch in der Pflegepraxis klinische Professuren und Doktorate zu etablieren, die sicherstellen, dass Theorie und Praxis voneinander und füreinander lernen und arbeiten, zugunsten einer qualitativ hochwertigen, und auf die unterschiedlichen Versorgungsbedarfe abgestimmten Gesundheitsversorgung.

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