Department für Pflegewissenschaft

Alumnabrief zum Start der Pflegewissenschaft

1. Studiengang Pflegewissenschaft an der Universität Witten/Herdecke

Lemgo, im April 2021

 

Liebe Studierende des SoSe 96,

vor 25 Jahren war es endlich soweit, der erste Studiengang Pflegewissenschaft an einer deutschen Universität ging an den Start. Viele von uns ersten Studierenden hatten lange darauf hin gefiebert, von ca. 80 Bewerbungen wurden wir 28 „Pioniere“ für das SS 96 an der UW/H ausgewählt, das Durchschnittsalter lag damals bei ungefähr 35 Jahren!!!

Von vielen politischen und anderen wichtigen Entscheidungsträgern war dieser Start nicht so richtig gewollt oder er wurde zumindest kritisch beäugt. Das Team um Christel Bienstein (Ralf Siegel, Angelika Zegelin und Irma Schmincke-Blau) hatten jedoch Visionen von einer wissenschaftlich fundierten Pflege, deren Professionalisierung und Weiterentwicklung und waren fest davon überzeugt, dass die Zeit dafür in Deutschland mehr als überfällig war.

Das damalige Wissenschaftsministerium in NRW war „not amused“ über diese Bestrebungen, weil man dort davon überzeugt war, dass Pflegestudiengänge an Fachhochschulen, aber nicht an Universitäten verortet sein sollten.  So wurde der Uni, aber auch uns Studierenden viele Steine in den Weg gelegt – aber letztendlich ist es dann doch gelungen!!!

Wie viel Energie, Anstrengungen, Frustrationen müssen damit verbunden gewesen sein, ich ziehe noch heute meinen Hut vor diesem Team und auch vor uns Pionieren!

ABER, neben all diesen Schwierigkeiten hat sich doch etwas Wunderbares entwickelt, wir können alle darauf seeeehr stolz sein. Ich bin immer noch froh und dankbar, in Witten studiert zu haben. Ich war in der Vergangenheit immer mal wieder in der Stockumer Straße oder am Campus zu Fortbildungen oder anderen Veranstaltungen – ich empfinde das fast wie „ein Nachhause kommen“.

Viele Erinnerungen kommen mir in dieser Woche in den Sinn: Da sind die zahlreichen pflegewissenschaftlichen Themen, von denen ich heute noch profitiere und die auch nach über zwanzig Jahren in meine berufliche Arbeit einfließen (z. B. Bedeutung von Angehörigen, kritisches Denken, Decision Making, Kinästhetik, Basale Stimulation, Kommunikation in der Pflege). Aber auch die Hausarbeiten bei Herrn Siegel (mein damaliges Thema war „2030 sind wir die Alten“ – so lange ist das ja nicht mehr hin) oder bei Irma Schmincke-Blau das Thema „Prägungen“ haben immer noch im persönlichen und beruflichen Leben große Relevanz.

Und auch das Studium Fundamentale hat mich sehr bereichert: Durch Prof. Bertram habe ich die Phänomenologie erst richtig verstanden – manchmal braucht es eben auch kleine Umwege!

Die persönlichen Begegnungen im Institut, die „Flurgespräche“ waren motivierend und haben ein „Wir-Gefühl“ insbesondere bei uns Pionieren geschaffen – wunderbar.

Und die vielen anderen „Neben-Aktivitäten“ wie die Zeitschrift „Hochschulforum Pflege“ (HOPF), Auftritte als Gesandte des Instituts, Rent a Nurse, Interviewpartner bei Zeitungen und Zeitschriften, Besuche bei unterstützenden Firmen etc. haben uns „stark“ gemacht für die Herausforderungen, die nach dem Studium auf uns warteten.

Highlights gab es viele, z. B. die Veranstaltungen mit Samy Molcho, Paul Watzlawick, und vielen internationalen Koryphäen aus der Pflegewissenschaft. Aber auch die tollen Feiern in Irmas Garten gehören dazu, dort wurden oft informelle Gespräche geführt, die manchmal wegweisend wurden. Unsere gemeinsamen Ausflüge zum Pflegekongress in Nürnberg, zu den Evaluationstagen nach unserem ersten Auslandspraktikum in Schwerte, Segeltörn auf dem Ijsselmeer etc. haben unsere Gemeinschaft gestärkt.

Die vergangenen 25 Jahre sind für die professionelle Pflege und deren Akademisierung eine Erfolgsgeschichte, diese haben wir insbesondere aus meiner Sicht dem damaligen Quartett aus der Stockumer Straße und ihrem großen Engagement zu verdanken.

ABER, auch das möchte ich an dieser Stelle sagen: „Blühende Landschaften“ für die Pflegewissenschaft in Deutschland sind bisher noch nicht etabliert. Immer wieder werden pflegewissenschaftliche Studiengänge, insbesondere an privaten Hochschulen, die mit hohem Engagement gestartet sind, „abgewickelt“, Hauptargumente sind ökonomische Probleme, „es rechnet sich nicht“, mangelnde Einsichten oder fehlende Kenntnisse zur Vielfältigkeit pflegerischer Aufgaben und der Notwendigkeit einer akademisierten Pflege.

Es ist zu wünschen, dass Entscheidungsträger aus Gesellschaft, Politik und Gesundheitswesen sich zukünftig noch mehr für die Akademisierung in der Pflege einsetzen. Aber es ist auch notwendig, dass die Berufsgruppe der Pflegenden selbst aktiver wird, sich organisiert und zusammenschließt und kompetent über die Pflege (nicht-akademisiert und akademisiert) als eine anspruchsvolle Tätigkeit kommuniziert.

 

Herzliche Grüße aus Lemgo,

Susanne Herzog

Susanne Herzog

Die Universität Witten/Herdecke ist durch das NRW-Wissenschaftsministerium staatlich anerkannt und wird – sowohl als Institution wie auch für ihre einzelnen Studiengänge – regelmäßig akkreditiert durch: